100 Tage Data Act – Interview mit Clepa Senior Consultant Frank Schlehuber
12.12.2025
Der EU Data Act ist ein entscheidender Schritt für Europas Umgang mit den Daten vernetzter Produkte und digitaler Dienste. Besonders bedeutsam ist diese Verordnung für die datengetriebene Mobilitäts- und Automobilbranche. Ziel ist es, Datenfairness herzustellen, Machtasymmetrien abzubauen, Innovationen zu fördern und Wettbewerb zu stärken. Seit dem 12. September 2025 gilt die Verordnung in der gesamten Europäischen Union.
Wenn Sie auf die ersten 100 Tage des Data Acts zurückblicken: Wie bewerten Sie als CLEPA-Repräsentant die bisherige Umsetzung?
Frank Schlehuber: Wir stellen fest, dass die Fahrzeughersteller den Data Act durchaus ernst nehmen und mehr Daten zum Teilen anbieten. Das war bisher nicht so. Der Data Act stellt den Nutzer des Fahrzeugs in den Mittelpunkt. Dieser kann jetzt frei entscheiden, mit wem er die Daten teilen möchte. Das Problem ist aber, dass die von den Herstellern angebotenen Daten noch sehr unterschiedlich sind, einige bieten 6 Datenpunke andere weit über 200. Trotzdem sind wir mit dem Data Act einen Schritt weiter: Die EU-Kommission hat im Leitfaden zum Data Act festgelegt, welche Daten bereitgestellt werden sollen und welche nicht. Jetzt ist klar: Alle Daten von Sensoren, auch wenn diese vorverarbeitet sind, z.B. also das Signal eines Temperatursensors in Grad Celsius umgerechnet wird, können geteilt werden. Nicht dabei sind hochkomplexe Algorithmen, wie etwa Daten zur Fußgänger-Erkennung aus Kameradaten im Fahrzeug. Mit dem vom Gesetzgeber beschriebenen Datenumfang lassen sich relevante Anwendungen realisieren.
„Der Data Act ist ein guter Anfang, ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber er ist noch keine Lösung, die Investoren begeistern wird.“
Ziel des Data Acts ist es, gleiche Wettbewerbsbedingungen für KMU, Start-ups und Zulieferer zu schaffen. Wie wirksam stärkt der Data Act aus Ihrer Sicht bisher kleinere Akteure und welche Verbesserungen wären nötig, um Innovation und Wettbewerbsfähigkeit weiter zu fördern?
Frank Schlehuber: Das Problem ist vor allem, dass wir bisher keine einheitliche Datenbasis haben, auf der wir Anwendungen und Services aufbauen können. Und dass Nutzer immer eine Datenfreigabe machen müssen, damit man ihre Daten überhaupt nutzen darf. Wenn jemand investieren will, weiß er gar nicht, was er dem User anbieten kann, weil er nicht weiß, was dessen Fahrzeug an Daten überhaupt liefert. Wenn man die Situation grundsätzlich verbessern wollte, müsste man einen Grundkonsens haben für einen einheitlichen Datensatz – wir nennen das Minimum Set of Data – der vielleicht vierzig, fünfzig Datenpunkte enthält, die - sofern technisch möglich - von einer großen Anzahl von Fahrzeugen unterstützt werden. Unser Ziel ist, dass für alle Fahrzeuge die gleichen Daten in diesem bestimmten Muster verfügbar sind. Dann kann man anfangen, flächendeckende Versicherungs-Use-Cases, Pay-as-you-Drive, Pay-how-you-Drive und sonstige Flotten-Use-Cases zu entwickeln. Für kleine und mittlere Unternehmen sieht der Data Act vor, dass sie zu günstigeren Konditionen Daten von den OEMs beziehen können. Bei ihnen darf der Hersteller nämlich nicht die Daten an sich berechnen, sondern nur den Aufwand für deren Bereitstellung plus Marge.
CLEPA analysiert zurzeit gemeinsam mit Caruso Dataplace verfügbare Datensätze und mögliche Anwendungsfälle. Welche ersten Erkenntnisse können Sie teilen, wie ein besserer Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten neue Services, Geschäftsmodelle oder Effizienzpotenziale für die Zulieferindustrie ermöglichen könnte?
Frank Schlehuber: Wir untersuchen gemeinsam mit Caruso Dataplace, welche Daten die Hersteller aktuell anbieten. Die erste Erkenntnis ist: Die Datenlage ist sehr, sehr unterschiedlich! Sowohl der Umfang und Art der Datenpunkte, als auch die Frequenz und die Art und Weise, wie sie angeboten werden. Zum Beispiel: Der eine Hersteller sendet Daten alle paar Sekunden und kommt damit der Forderung des Data Acts nach „realtime“ sehr nahe, der andere nur einmal am Tag oder nach Abstellen des Fahrzeugs. So vielfältig wie die Auswahl der Daten ist auch die Preisgestaltung. Die Forderung nach günstigeren Konditionen für KMU wird vereinzelt bereits umgesetzt, das Preisniveau ist aber insgesamt noch zu hoch. Oft werden die Daten in sogenannten Bundles oder Paketen angeboten, die von Fahrzeughersteller zu Fahrzeughersteller unterschiedlich sind. Bei einem Hersteller kommt das Gesamtpaket auf über 30 EUR pro Monat während KMU hierfür ca. 24 EUR bezahlen. Keine Versicherung wird auf dieser Kostenbasis datenbasierte Tarife anbieten können.
Was wäre Ihre Empfehlung an die Politik?
Frank Schlehuber: Es wäre wünschenswert, dass der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen, das Marktumfeld und die Wettbewerbssituation besser berücksichtigt. Schließlich ist der Grundgedanke beim Data Act, dass mehr Daten zum Teilen verfügbar gemacht werden sollen. Die im Fahrzeug generierten Daten liegen technisch immer auf den Servern der Fahrzeughersteller, ein direkter Zugriff auf das Fahrzeug durch Dritte ist nicht vorgesehen. Der Data Act hat zum Ziel, sicherzustellen, dass diese nicht nur bei den OEMs verbleiben, sondern auf Wunsch des Fahrzeugnutzers oder -eigentümers für alle Player am Markt nutzbar werden. Die Fahrzeughersteller bieten vielfach bereits datenbasierte Services an. Dritte müssen die dafür notwendigen Daten von ihren Wettbewerbern, den Fahrzeugherstellern, beziehen. Daher ist es in der Praxis nicht ausreichend, im Leitfaden zum Data Act nur den Datenumfang unverbindlich zu regeln. Die EU-Kommission ist sich dessen bewusst, und hat bereits eine mögliche Erweiterung des Leitfadens in 2026 angedeutet. Die Kommission hat im Rahmen des Digital Omnibus, also der Vereinfachung mehrerer gesetzlicher Regelungen, deutlich gemacht, dass der Data Act als wichtige Regelung in den Grundzügen erhalten bleibt. Sofern Parlament und Mitgliedstaaten dies mittragen, wäre der nächste Schritte die Erweiterung des Leitfadens zur Berücksichtigung wettbewerblicher Abhängigkeiten. Dies wird sicher eines der wichtigen Themen auf der CLEPA Aftermarket Konferenz im März 2026.
Stabilität und Transparenz sind entscheidend für langfristige Investitionen in digitale Lösungen. Welche konkreten Auswirkungen erwarten Sie vom Data Act auf den europäischen Mobilitätssektor – und welche zusätzlichen Maßnahmen wären hilfreich, damit Zulieferer sicher in datengetriebene Technologien investieren können?
Frank Schlehuber: Der nächste Schritt ist jetzt, dass wir uns über ein Regelwerk Gedanken machen, das zu einem einheitlichen Datensatz zu vernünftigen Kosten führt, der von allen Fahrzeugen unterstützt wird, sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Damit gäbe es eine einheitliche Basis, die auch zu Investitionen führen können. In einem zweiten Schritt muss es mehr Transparenz geben darüber, welche Daten überhaupt für ein Fahrzeug verfügbar sind? Viele Daten, die im Fahrzeug entstehen, sind ja gar nicht an die Kommunikationsschnittstelle angebunden, d.h. sie verbleiben im Fahrzeug. Andere sind angebunden, aber nur eine Teilmenge wird an die OEMs übertragen und davon wiederum wird möglicherweise nur ein Teil für Dritte verfügbar gemacht. Der Fahrzeughersteller ist hier immer im Vorteil gegenüber einem Mitbewerber, weil er weiß, welche Daten generiert werden und genutzt werden können. An dieser Stelle kommt das Thema Schutz von Geschäftsgeheimnissen oder auch Non-Monitoring ins Spiel: Wenn ein OEM Daten bereitstellt, darf er nicht wissen, wem er sie gibt. Er muss das von seinen eigenen Geschäftsmodellen trennen.
Wie geht es in den nächsten Monaten weiter mit dem Data Act?
Frank Schlehuber: Vor März, April sehe ich keine Chance, dass es neue Regelungen gibt. Aus Sicht der Politik ist der Data Act gerade erst in Kraft getreten. Wir müssen jetzt erstmal darauf hinweisen, dass es dort aus unserer Sicht noch Nachbesserungsbedarf gibt. Dafür haben wir der EU-Kommission einen ersten Zwischenstand des Connected Vehicle Field Tests mit Caruso gegeben. Die Kommission ist sehr an den Ergebnissen interessiert und ist sich über die Positionen der einzelnen Marktakteure bewusst. Es wurde weitere Guidance speziell im Hinblick auf Kosten für Daten angedeutet. Auf der CLEPA Aftermarket Konferenz am 18./19. März in Brüssel werden wir die Ergebnisse im Detail vorstellen und auch der Kommission Gelegenheit geben, geplante weitere Leitlinien anzukündigen. Dabei werden wir darauf aufmerksam machen, dass es eine auf den Automobilsektor zugeschnittene Regelung im Data Act mit einheitlichen Vorgaben für die Hersteller braucht, damit die Nutzung der Daten überhaupt wirtschaftlich möglich wird und auch Investitionen in neue datenbasierte Services auslöst. Dies kann durch ergänzende Gesetzgebung zum Data Act oder durch eine sektorspezifische Regelung erfolgen.
Was genau macht CLEPA?
CLEPA ist der Europäische Verband der Automobilzulieferer und vertritt 120 der weltweit führenden Zulieferer sowie über 20 nationale Branchenverbände und 3000 Zulieferer aus der Automotive-Supply-Chain. Der Verband setzt sich auf EU-Ebene für faire Rahmenbedingungen, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Mobilität ein — insbesondere bei Gesetzgebung, Marktzugang, Datenzugang und technologischer Entwicklung.