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Interview

Chiara Gastaldi: „Cradle to Cradle: Eine einzigartige Chance“

07.09.2024

Gateway to Automotive hat mit Chiara Gastaldi von der polytechnischen Hochschule in Turin gesprochen. Gastaldi ist dort Associate Professor im Bereich Maschinenbau und Luft- und Raumfahrt (DIMEAS).

Chiara Gastaldi

Was bedeutet „Cradle to Cradle“ im Automotive und Aftermarket?

Wenn man sich die Emissionen im Automobilsektor ansieht, denkt man zunächst an die Emissionen während der Nutzungsphase – die Abgasemissionen. Dies steht seit Langem im Mittelpunkt, insbesondere bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, also ICE, bei denen traditionell die größten Umweltauswirkungen auftraten. Beim Übergang zu Antriebssträngen, die während der Nutzungsphase weniger Auswirkungen haben, wie etwa bei Elektrofahrzeugen, wird es jedoch entscheidend, einen ganzheitlichen Ansatz „von der Wiege bis zur Bahre“ zu verfolgen. Dieser Ansatz berücksichtigt alle direkten und indirekten Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsorgung.

"Der Cradle to Cradle-Ansatz berücksichtigt alle direkten und indirekten Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Rohstoffgewinnung über die Produktion und Nutzung bis hin zur Entsorgung."

Derzeit kann die Herstellung eines Elektrofahrzeugs genauso große Auswirkungen haben wie die Emissionen, die während der Nutzungsphase entstehen – wenn nicht sogar noch mehr. Teilweise wird bei der Herstellung des Fahrzeugs mehr CO2 ausgestoßen als beim Fahren. Diese Verschiebung unterstreicht die Notwendigkeit, die Umweltauswirkungen von Produktions- und Entsorgungsprozessen zu minimieren. Und wenn wir uns andere Arten von Auswirkungen ansehen, beispielsweise die Erschöpfung natürlicher Ressourcen, werden wir feststellen, dass die Produktion von Fahrzeugen eine der ressourcenintensivsten Industrien ist.

In diesem Zusammenhang bietet die Kreislaufwirtschaft eine einzigartige Chance. Durch die Wiedereingliederung von Materialien und Komponenten vom Ende eines Produktlebenszyklus in den Beginn eines anderen können wir Abfall und Ressourcenverbrauch deutlich reduzieren. Dies kann durch verschiedene Strategien erreicht werden, darunter Recycling, aber auch durch Reparatur, Wiederaufbereitung und Wiederverwendung von Komponenten. Diese Strategien bergen enormes Potenzial im Aftermarket-Bereich, insbesondere für die komplexen Komponenten, die in der Automobilindustrie weit verbreitet sind.

"Die Strategien Recycling, Reparatur, Wiederaufbereitung und Wiederverwendung von Komponentenbergen bergen enormes Potenzial im Aftermarket-Bereich, insbesondere für die komplexen Komponenten, die in der Automobilindustrie weit verbreitet sind."

Indem wir uns auf die Zirkularität konzentrieren, reduzieren wir nicht nur die Umweltauswirkungen der Produktion, sondern verlängern auch den Lebenszyklus bestehender Produkte, wodurch der Bedarf an neuen Ressourcen verringert wird und was die Gesamtemissionen reduziert. Dieser Ansatz steht im Einklang mit dem umfassenderen Ziel, Nachhaltigkeit im Automobilsektor zu erreichen, und ist für die sinnvolle Erreichung der Emissionsziele von entscheidender Bedeutung.


Bei der Herstellung der Recyclingfähigkeit ist es wichtig, keine Teile zu verwenden, die nicht recycelt werden können. Haben Sie das Gefühl, dass die Branche in dieser Frage gute Fortschritte macht?

Ja, die Branche kommt in dieser Frage gut voran. Die europäische Wertschöpfungskette für Autorecycling bietet bereits eine außergewöhnliche Wiederverwendungs- und Verwertungsrate von rund 95 Prozent. Bei Autos liegt die Recyclingquote bei beachtlichen 85 Prozent, wobei weitere 10 Prozent der Materialien zur Energiegewinnung wiederverwendet werden. Mit der Einführung neuer EU-Vorschriften dürfte dieser Anteil weiter steigen.

"Die europäische Wertschöpfungskette für Autorecycling bietet bereits eine außergewöhnliche Wiederverwendungs- und Verwertungsrate von rund 95 Prozent. Bei Autos liegt die Recyclingquote bei beachtlichen 85 Prozent, wobei weitere 10 Prozent der Materialien zur Energiegewinnung wiederverwendet werden."

Aus Forschungssicht besteht ein wachsendes Interesse an der Entwicklung neuer Verbundwerkstoffe, insbesondere solcher mit Naturfasern. Diese Materialien bieten den doppelten Vorteil, dass sie wünschenswerte mechanische Eigenschaften – wie hohe Festigkeit und geringes Gewicht – beibehalten und gleichzeitig recycelbar sind. Erfreulicherweise werden einige dieser innovativen Materialien erstmals in neuen Fahrzeugen eingesetzt, insbesondere in Innenraumkomponenten, was auf eine Vorwärtsdynamik in diesem Bereich hinweist.

Darüber hinaus werden erhebliche Anstrengungen beim Batterierecycling unternommen, was bei der Umstellung auf Elektrofahrzeuge von entscheidender Bedeutung ist. Ein Bereich, in dem noch viel zu tun ist, sind die dem Recycling vorangehenden Schritte, insbesondere die Demontage. Für ein effektives Recycling ist es erforderlich, dass verschiedene Komponenten, die häufig aus unterschiedlichen Materialien bestehen und einer spezifischen Behandlung bedürfen, ordnungsgemäß zerlegt werden. Das gleiche Prinzip gilt für die Wiederverwendung und Wiederaufbereitung: Alles beginnt mit einer Demontage, die machbar und zeiteffizient ist.

Dies kann nur erreicht werden, wenn die Konstrukteure die Demontage gleich zu Beginn des Fahrzeuglebenszyklus in Betracht ziehen. Es ist unerlässlich, die Demontage in den Konstruktionsprozess einzubeziehen und detaillierte Anweisungen bereitzustellen, ähnlich denen, die für die Fahrzeugwartung verwendet werden. Derzeit fehlt dieser Aspekt in der Designpraxis oft, dennoch ist er eine grundlegende Säule des zirkulären Designs. Durch die frühzeitige Einbeziehung dieser Überlegungen können wir die Recyclingfähigkeit und Nachhaltigkeit von Automobilprodukten deutlich verbessern.