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Purpose-Design ist ein Entwicklungsprinzip: Es geht darum, Fahrzeuge konsequent für den Elektroantrieb zu konzipieren. Aus der Integration der Batterie in den Fahrzeugboden resultieren rund 20 bis 24 Prozent mehr Innenraum. Auch der klassische Kühlergrill entfällt, weil Elektromotoren weniger Kühlleistung benötigen. Zudem eröffnen moderne Materialien und Plattformkonzepte neue Wege für mehr Nachhaltigkeit – sowohl bei der Produktion als auch beim Recycling. Nicht zuletzt erlaubt das Purpose-Design eine konsequente Integration von Software, digitalen Funktionen und optimierter Ladetechnologie.
Einige Hersteller setzen diesen Ansatz bereits gezielt um, andere nähern sich schrittweise an. In Europa gilt Volkswagen mit der ID.-Reihe (ID.3, ID.4, ID. Buzz) als Vorreiter. Grundlage ist die modulare MEB-Plattform, die konsequent auf E-Mobilität ausgerichtet ist. Auch Renault verfolgt mit dem Megane E-Tech und dem kommenden R5 diesen Weg über die CMF-EV-Plattform. Volvo positioniert sich mit den Modellen EX30 und EX90 klar auf Purpose-Design-Basis – unabhängig von klassischen Verbrenner-Plattformen.
In den USA dominiert Tesla: Mit den Modellen 3, Y, S und X gilt die Marke als Pionier des Purpose-Designs. Start-ups wie Rivian (R1T, R1S) setzen auf robuste, abenteuerorientierte Plattformen, während Lucid Motors mit dem Lucid-Air-Purpose-Design im Luxussegment neu denkt.
Auch in Asien wird die Strategie forciert. Hyundai und Kia nutzen die eigens entwickelte E-GMP-Plattform für Modelle wie IONIQ 5, IONIQ 6 oder EV6 – mit 800-Volt-Technik und flachem Unterboden. BYD setzt mit seiner Blade-Batterie und Plattformintegration auf hohe Effizienz und Raumökonomie. Toyota beginnt mit dem bZ4X den Einstieg ins Purpose-Design, bleibt jedoch bisher vergleichsweise konservativ.
Nicht zuletzt zeigen Start-ups wie Canoo (USA) sowie NIO und Zeekr (China), wie radikal man Purpose-Design umsetzen kann: mit Lounge-artigen Innenräumen, batterieoptimierten Karosserien und Plattformen, die von Beginn an für autonomes Fahren und digitale Services ausgelegt sind. Dazu gehört auch Entertainment – wie gut ein Wagen mit Consumer-Electronics ausgestattet wird, ist in China ein sehr wichtiger Kaufgrund. Was soll man an Bord sonst auch tun, wenn einem in naher Zukunft beim autonomen Fahren das Auto alles abnimmt?
Ein weiteres Schlüsselmerkmal ist die Batterie- und Reichweitenoptimierung. Purpose-Design-Modelle können ihre Batteriepacks besser dimensionieren und kühlen, was die Reichweite vergrößert. Da das Fahrzeug auf keine Verbrennerstruktur Rücksicht nehmen muss, lassen sich Packungsdichte und Ladeleistung gezielt optimieren.
Auch der Innenraum profitiert massiv. Wegfallende Antriebsstränge und platzraubende Motorkomponenten ermöglichen flexible Gestaltungskonzepte: ein flacher Boden, verschiebbare Sitze, mehr Stauraum und eine Lounge-artige Anordnung sind typisch. Fahrzeuge wie der VW ID. Buzz oder die Vans von Canoo nutzen diese Möglichkeiten besonders konsequent.
Connectivity und autonome Funktionen werden ebenfalls von Anfang an mitgedacht. Purpose-Design-Elektroautos integrieren Sensorik, Over-the-Air-Updates und digitale Assistenzsysteme nahtlos. Schon heute werden viele dieser Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen vorbereitet, die sukzessive freigeschaltet werden können.
Schließlich prägt die Designsprache das Bild von Purpose-Elektroautos: Stromlinienförmige Karosserien mit kurzen Überhängen, aerodynamisch optimierten Formen und futuristischen Details sind charakteristisch. Gleichzeitig reflektiert das Design oft die Markenidentität – minimalistisch wie bei Tesla oder expressiv wie bei Lucid Motors.
Wohin Purpose-Design steuert
Die Aerodynamik wird bei Elektroautos oft als entscheidender Effizienzfaktor dargestellt. Doch auch hier hat die Erfahrung die Hersteller eines Besseren belehrt. Denn im Alltag, wo die meisten Fahrten bei deutlich geringerer Geschwindigkeit stattfinden, spielt vielmehr die Reichweitenoptimierung durch intelligente Antriebstechnik und Batteriemanagement eine wichtigere Rolle.

Tesla hat früh gezeigt, wie konsequent umgesetztes Purpose-Design aussehen kann. Das Model Y etwa kombiniert Effizienz, Raumökonomie und eigenständige Designsprache. VW hat bei ID.3 und ID.4 auf die gleiche Strategie gesetzt, wenngleich der Markterfolg hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Der Mobilitätspionier Prof. Dr. Günther Schuh von der RWTH Aachen, der am Lehrstuhl für Produktionssystematik lehrt, entwickelte 2010 nach Purpose-Design-Prinzipien den Streetscooter, einen elektrischen Kleintransporter, der ein großer Erfolg war. „Leider funktionierte der gleiche Ansatz nicht bei dem VW ID.3, der eigentlich das E-Volksauto hätte werden sollen“, erinnert sich Schuh.
Purpose-Design bleibt dennoch der vorherrschende Entwicklungsansatz. So zeigen neue Player wie der Tesla-Konkurrent Rivian oder BYD, wie man dabei erfolgreich vorgeht: Der Rivian R1T ermöglicht mit Purpose-Design modulare Abenteuerfahrzeuge, während BYD mit seiner Blade-Batterie auf Effizienz und Sicherheit setzt.
Trotzdem sieht Schuh noch lange keine Dominanz chinesischer Hersteller auf dem europäischen Premiummarkt: „Mir fällt kein chinesisches Auto ein, das es mit einem VW ID.7, BMW i5 oder Porsche Taycan aufnehmen könnte. Bis heute nicht.“
Entertainment als Kaufargument
Die Innovationsgeschwindigkeit chinesischer Anbieter ist enorm. „Mittel- bis langfristig könnten Purpose-Designs aus China sehr wohl in Premiumsegmente vordringen“, so der Branchenexperte Zhong Shi. Die Autobauer aus dem Reich der Mitte setzen zunehmend vor allem auf Hightech-Entertainment als strategisches Differenzierungsmerkmal und greifen damit gezielt nach der globalen Vorherrschaft im E-Auto-Markt.

BYD, NIO oder Xpeng integrieren von Beginn an großformatige Displays, Gaming-Funktionen, 5G-Konnektivität und immersive Soundanlagen in ihre Fahrzeuge. Anders als viele europäische Hersteller, die Entertainment eher als nachträgliches Add-on behandeln, verstehen es Chinas Entwickler als zentrales Element des Nutzungserlebnisses. Die nahtlose Verknüpfung von Software, Medien und Bedienkomfort ist in China längst ein Kaufargument. Zudem haben chinesische Hersteller dabei vor allem den Vorteil, dass sie die Kosten kontrollieren, da sie die Batterien selbst produzieren, wie Shi betont.
Da stehen europäische Hersteller vor ganz anderen Herausforderungen. Denn die Entwicklung spezieller Elektroplattformen ist teuer. Neue Fertigungsmethoden, veränderte Zulieferketten und hohe Investitionen in Software treiben die Kosten.
Gleichzeitig bleibt die Akzeptanz bei den Kunden eine Hürde – viele Käufer bevorzugen eine vertraute Fahrzeugarchitektur. Hinzu kommen infrastrukturelle Defizite: Die Ladeinfrastruktur und ein engmaschiges Werkstattnetz wachsen in vielen Regionen zu langsam. Schuh geht noch weiter und kritisiert die einseitige Fokussierung auf reine Batterie-Elektrofahrzeuge wie folgt: „Die allein elektrisch betriebenen Fahrzeuge sind nicht die Lösung. Das ist einfach falsch. Was wir brauchen, sind hybride Lösungen.“ Denn was die Kunden brauchen, sind elektrisch betriebene Stadtautos für die vielen kurzen Strecken, bei denen die Antriebe nicht übermotorisiert sind, und Hybridantriebe, auch mit Range Extendern, für lange Fahrten, so Schuh.
Purpose-Design indes wird sich weiterentwickeln. Skalierbare Plattformen, die für verschiedene Fahrzeuggrößen und -typen adaptiert werden können, werden zum neuen Standard. Solid-State-Batterien könnten in wenigen Jahren kompaktere, leichtere Akkus ermöglichen – und so neue Freiheiten für das Fahrzeugdesign schaffen. Purpose-Design wird sich jedoch nicht durch radikale Umbrüche, sondern eine leise, pragmatische Evolution durchsetzen – immer näher an den tatsächlichen Wünschen der Kunden, immer weniger an den Idealen der Entwickler.