Der Classic-Car-Markt wächst, aber nicht mehr überall gleich schnell. Während Youngtimer boomen, drohen ein Ersatzteil- und Fachkräftemangel. Ein Blick auf eine Branche zwischen Emotion, Handwerk und Milliardenmarkt.
Zwischen Hebebühnen, Werkzeugwänden und Chromglanz steht ein Mann, der die Geschichte des Automobils mit seinen Händen bewahrt. In seiner Werkstatt „Olditech“ in Berlin-Kreuzberg riecht es nach Metall, Benzin und vor allem nach Geduld. „Es gibt immer wieder Teile, die einfach nicht mehr zu bekommen sind“, sagt Inhaber Andreas Steinhofer und bittet in sein Büro. Durch die Fenster blickt man auf den Hof, der mit Young- und Oldtimern vollgestellt ist. „Und wenn’s die Teile nicht gibt, dann muss man improvisieren“, sagt er.
Für Oldtimerschrauber wie ihn beginnt die Arbeit dort, wo der Ersatzteilkatalog endet. Ob Mercedes W124, Golf III oder Citroën DS, irgendwann braucht jedes Liebhaberfahrzeug ein Bauteil, das niemand mehr produziert. Dann heißt es: recherchieren, anrufen, suchen, hoffen. Oder selbst Wege finden, die jahrzehntelang vergessen schienen.
„Das Premiumsegment stagniert, während erschwingliche Youngtimer der 1990er neue, jüngere Halter in die Szene bringen.“
Markt im Wandel
Der Markt für klassische Fahrzeuge wächst weltweit, wenn auch unterschiedlich: „In Deutschland sehen wir kein zweistelliges Wachstum mehr“, sagt Gerd Heinemann von Wolk & Nikolic Aftersales Intelligence / BBE. „Das Premiumsegment stagniert. Dynamik entsteht vor allem im Volumensegment, bei erschwinglichen Youngtimern der 1990er-Jahre. Diese Fahrzeuge bringen neue, jüngere Halter in die Szene“, erklärt Heinemann.
Insgesamt sind nach Schätzungen von BBE Automotive rund 1,2 Millionen klassische Fahrzeuge in Deutschland zugelassen, Tendenz leicht steigend. „Der Oldtimer-Ersatzteilmarkt ist ein Mosaik aus OEMs, Zulieferindustrie, Spezialbetrieben, privaten Tauschbörsen und digitalen Innovationen“, so Heinemann. Laut einer aktuellen Studie von Wolk & Nikolic beträgt das Reparaturvolumen für Fahrzeuge im Alter von über 30 Jahren rund 3,5 Milliarden Euro, davon entfallen etwa 1,2 Milliarden Euro auf Ersatzteile. Ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor und ein Markt mit erstaunlicher Widerstandskraft.
Industrie und Innovation
Foto: Tobias Schult
Dass Konzerne wie Bosch heute wieder historische Steuergeräte, Lichtmaschinen und Einspritzsysteme auflegen, ist mehr als Nostalgie. Es ist Markenpflege.
„Bosch gehört zu den engagierten Akteuren in der Branche. Tradition bietet allen etablierten Teileherstellern einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der asiatischen Konkurrenz“, führt Heinemann aus. Im Bosch-Archiv lagern heute über 60.000 Datensätze und Originalzeichnungen. Was wirtschaftlich reproduzierbar ist, wird in Kleinserien gefertigt, teils mit modernster Fertigungstechnik. Wenn das nicht möglich ist, bietet Bosch Restaurierungswerkstätten Zugriff auf digitalisierte Pläne oder Austauschkomponenten. So bleibt der Konzern, der schon in den 1920er-Jahren Zündanlagen für Benz & Co. lieferte, auch 100 Jahre später ein aktiver Teil der Szene. Was früher in der Gießerei entstand, kommt heute teilweise aus dem Drucker. Der 3D-Druck hat den Restaurierungsmarkt verändert, vor allem bezüglich von Kunststoffteilen, Zierleisten und Halterungen.
„Die Faszination für klassische Fahrzeuge lebt von Leidenschaft, Handwerk und Wissen.“
Werkstätten, Wissen, Zukunft
Zurück zu Steinhofers Betrieb: Hier arbeiten vier Mechaniker. Dass klassische Fahrzeuge überhaupt noch repariert werden, ist einer Szene zu verdanken, die Leidenschaft mit Fachwissen verbindet. Von privaten Clubs über Teilebörsen bis zu internationalen Verbänden wie der FIVA: Hier werden Kontakte gepflegt, Know-how geteilt und technische Informationen gesichert.
„Für den Mercedes-M102-Motor, millionenfach gebaut, sind seit Jahren keine Schlepphebel mehr zu bekommen. Ein Kunde musste sich das Teil am Ende aus Australien schicken lassen“, sagt Steinhofer.
Solche Geschichten zeigen: Oldtimer zu fahren, bedeutet, sich in einem globalen Netzwerk zu bewegen, das jenseits von Lieferketten und Algorithmen funktioniert. Auch Jürgen Book, langjähriger Szene-Kenner und Classic-Car-Beauftragter der Automechanika Frankfurt, sieht in dieser Vernetzung die Zukunft: „Die Faszination für klassische Fahrzeuge lebt von Leidenschaft, Handwerk, Wissen – und genau das wollen wir im Classic Car Network, der ‚Classic Alliance‘, stärker zusammenführen.“ Er kündigt an, dass das Netzwerk in den kommenden Jahren wachsen soll: „Wir wollen Werkstätten, Teileanbieter und Restauratoren international besser verbinden – sowohl digital als auch auf Messen. Unser Ziel ist, die gesamte Kompetenz der Classica zusammenzuführen, die Szene zu professionalisieren, ohne ihr Herz zu verlieren“, so Book weiter.
Die Herstellung von Classic-Teilen
Foto: Tobias Schult
Ein Partner, auf den man bei der Herstellung solcher Ersatzteile zählen kann, ist Bosch Classic. Seit den 1920er-Jahren beschreitet das Unternehmen verschiedene Wege, um die Ersatzteilversorgung für Oldtimer sicherzustellen. „So legen wir viele Bauteile in OE-Qualität neu auf und produzieren diese auf Basis der originalen Fertigungsunterlagen nach“, sagt Peter Michael Mack, Leiter Bosch Classic. Mack erklärt, dass das Unternehmen teilweise sehr eng mit spezialisierten Werkstätten, den Klassik-Abteilungen einiger Automobilhersteller und auch mit Endkunden zusammenarbeitet.
„2024 haben wir über eine Umfrage in unserem Bosch Classic-Newsletter den Bedarf an Raddrehzahlsensoren für Fahrzeuge mit den ersten ABS-Systemen in den 1990er-Jahren ermittelt. Aufgrund des starken Interesses haben wir dann für verschiedene gängige Fahrzeugmodelle die entsprechenden Raddrehzahlsensoren neu aufgelegt“, so Mack.
“Bei Bosch Classic werden Verfahren bewertet und entwickelt, um den 3D-Druck von Metallteilen in Originalqualität zu ermöglichen.”
Ein Kulturgut
Die Ersatzteilfrage bleibt für die Zukunft der Szene ein Schlüsselthema. Neue Technologien wie der 3D-Druck, digitale Archive und spezialisierte Aftermarket-Anbieter sichern das Geschäft von morgen. Gerade bei Bosch Classic spielt der 3D-Druck eine zunehmend wichtige Rolle: „Bei der Nachfertigung von Kunststoffteilen wird er im Oldtimersegment schon häufig eingesetzt. Bei Bosch Classic bewerten und entwickeln wir gerade Verfahren, um auch den 3D-Druck von Metallteilen in Originalqualität zu ermöglichen. Damit wird die Nachfertigung von Komponenten in Klein- und Kleinstserien in Zukunft einfacher und kostengünstiger“, erklärt Mack.
Doch ohne Menschen wie Steinhofer, mit Geduld, Spezialwissen und Leidenschaft, wäre all das nur graue Theorie.
„Ich habe mein Leben lang alte Autos gefahren. Mein letztes Alltagsauto war ein Opel Rekord C Caravan von 1969. Komfort war Nebensache, Hauptsache, er läuft. Das war immer meine Leidenschaft.“