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E-Mobility

„Ich bin dann mal in der Werkstatt“, sagt das E-Auto

10.07.2024

Und was machst du da? Kurzer Bericht, wie es E-Autos in der Kfz-Werkstatt so geht – und der Kfz-Werkstatt mit ihnen

Lesedauer: 6 Minuten

Rui Costa

„Man muss mit der Zeit gehen, auch wenn es mit viel Lernen und Schulungen verbunden ist.“ Rui Costa ist ein freundlicher, optimistischer Schwabe, der in Kirchheim nahe Stuttgart E-Autos repariert und sie im Service betreut. Costa ist mitarbeitender Werkstattleiter und Kfz-Mechanikermeister mit dem Spezialgebiet Ford und Elektroantrieb bei Schmauder & Rau, einer freien Werkstatt mit Ford-Servicebetrieb, eine Traditionsfirma in der Region.

Was an der Arbeit mit E anders ist

Costa ist eine von zwei „Hochvoltkräften“. Das sind Mitarbeitende, die den „großen Hochvoltschein“ gemacht haben, die umfangsreichste der Hochvoltschulungen, und damit Verantwortung übernehmen können, wenn sich Mitarbeitende an ein E-Auto machen. „Ich finde immer, man darf keine Angst vor der E-Mobilität haben. Aber Respekt auf jeden Fall. Und man muss eben auch wirklich wissen, was man tut.“

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Der größte Unterschied zur Arbeit mit Verbrennern sei es, die Mitarbeitenden auf die Lebensgefahr in der Hochvolttechnik zu sensibilisieren, spricht Costa etwas ganz Grundsätzliches aus. Die Arbeitsverordnung sieht vor, Art, Zeitpunkt und Dauer der Tätigkeit genau zu dokumentieren und in welcher Weise und wie lange das Fahrzeug spannungsfrei gestellt wurde. Die Verantwortung übernimmt einer wie Costa.

„Man kann nicht einfach drauflosarbeiten“, erzählt Costa aus der Werkstattpraxis. „Es reicht auch nicht, den Stecker zu ziehen oder in die Anleitung zu schauen, ob der Motor jetzt spannungsfrei ist. Nein, man muss es selbst messen und überprüfen, dass die sogenannte Pilotlinie deaktiviert und keine Spannung mehr drauf ist.“ Die Pilotlinie ist eine Schutzeinrichtung, um die Sicherheit des Werkstattpersonals im Umgang mit E-Fahrzeugen zu gewährleisten.

Wer ein E-Auto kennt, kennt sie alle

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Was E-Fahrzeuge noch unterscheidet: Sie sind viel schwerer, große Modelle bringen allein durch das Gewicht der Batterien schnell mal eine Tonne und mehr auf die Waage. Werkstätten müssen ihre Ausstattung mit Hebebühnen darauf ausrichten. „Wir haben neue Scherenhebebühnen angeschafft“, erzählt Costa, „aber keine eigenen E-Hebebühnen. Wenn ein E-Auto kommt, wird die Bühne abgesperrt und beschildert, damit keine Unbefugten damit in Kontakt kommen.“

Costa ist Pionier der E-Mobilität, denn er betreut seit Jahren die „Street Scooter“ von Post und DHL – die 2010 von zwei Hochschulprofessoren in Aachen entwickelten und in den Markt gebrachten Kleintransporter für den Paketzustelldienst, die in ihrer Effizienz damals eine kleine Revolution waren. „Die E-Scooter sind ganz einfach gebaut“, sagt Costa, „und sie sind extremen Belastungen ausgesetzt, wenn sie hundertmal am Tag immer bloß drei, vier Meter oder zehn Meter bis zum nächsten Briefkasten fahren. Unter den Bedingungen müssen die öfter in die Werkstatt als ein normales E-Fahrzeug – unterscheiden sich sonst aber auch nicht so groß von aufwendigeren Modellen.“ Wer ein E-Auto kennt, kennt alle, meint Costa: „Die sind vom Aufbau her alle gleich. Alle haben einen Motor, also einen Elektromotor, ein Getriebe daran, die Batterien und ein Kühlsystem. Das Kühlsystem, das für die thermische Stabilität der Batterien sorgt, ist fast das Wichtigste beim E-Auto.“

E-Autos sind einfach, aber auch superknifflig

E-Autos sind einfach aufgebaut. Die Kühl- und Wärmekreisläufe, um die Batterien zu temperieren, aber auch die Vernetzung von Hard- und Software sind dagegen so aufwendig, dass sie neben den kostspieligen Hochvoltschulungen – je nach Format bis zu 10.000 Euro pro Person – viel Einarbeitung bei den Mitarbeitenden erfordern. „Am Anfang sind wir da ins kalte Wasser gesprungen“, sagt Costa, „heute ist es besser. Man braucht die Software und die Werkstatthandbücher der Hersteller – ohne ist man aufgeschmissen. Beim Verbrenner konnte man sich eher selbst helfen.“ Die bessere Information und Einbindung der Werkstätten wurden auch von den Verbänden durchgesetzt.

„Man braucht die Software und die Werkstatthandbücher der Hersteller – ohne ist man aufgeschmissen. Beim Verbrenner konnte man sich eher selbst helfen.“

Rui Costa

Ähnlich skeptisch und zögerlich, wie die E-Mobilität in Deutschland aufgenommen wird, war bis vor Kurzem auch die Stimmung in vielen Werkstätten. Die 1,4 Millionen Elektrofahrzeuge, die Anfang 2024 in Deutschland zugelassen waren, schienen weniger Beschäftigung und damit Geschäft zu bedeuten, allein schon wegen der messbar geringeren Reparaturanfälligkeit durch weniger drehende Teile – ein Elektroantrieb besteht aus rund 210 Teilen, also nur 15 Prozent dessen, was ein Verbrenner aufweist.

Es ging die Sorge um, mit undankbaren und nicht überschaubaren Geschäftsfeldern zu tun zu bekommen, wie mit der Reparatur oder dem Austausch von Batterien, die inzwischen von spezialisierten Anbietern übernommen werden. Auch lange Wartezeiten auf Ersatzteile und damit hohe Standzeiten, höhere Kosten bei Austauschteilen oder rechtliche Unsicherheiten im Umgang mit beschädigten E-Fahrzeugen gehörten zu den pessimistischen Szenarien.

Verbände und Fachmedien warnten vor hohen Einstiegskosten (Räume, Technik, Ausbildung der Mitarbeitenden, Sicherheit etc.) bei ungewisser Refinanzierung. Die Risiken schienen die Chancen zu überwiegen.

Was bedeuten E-Autos für die Kfz-Branche wirklich?

„Wir haben mehr als 125 Jahre Erfahrungen mit Verbrennern, aber nur etwa zehn Jahre mit modernen Elektrofahrzeugen, wir befinden uns noch auf einer Lernkurve“, sagt Christian Sahr vom AZT Allianz Zentrum für Technik. „E-Autos sind ein wichtiger Baustein der Mobilitätswende. Um diese in die Breite zu bringen, spielen die Unterhaltskosten eine wichtige Rolle. Bei den Reparaturkosten sehen wir aktuell, dass diese über denen vergleichbarer Verbrenner liegen und gesenkt werden müssen, damit Mobilität bezahlbar bleibt. Dazu brauchen wir verbesserte Tauschkriterien, Diagnose- und Reparaturmöglichkeiten für Hochvolt-Batterien sowie Aufklärung im Umgang mit beschädigten Elektroautos.“

„Bei den Reparaturkosten sehen wir aktuell, dass diese über denen vergleichbarer Verbrenner liegen und gesenkt werden müssen, damit Mobilität bezahlbar bleibt.“

Christian Sahr vom AZT Allianz Zentrum für Technik
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Gerade Reparaturkosten lassen sich aber, zumindest im Hinblick auf Werkstattdienste, momentan noch schwer prognostizieren. Laut einer Studie des Gesamtverbands der Versicherer (GDV) liegt die durchschnittliche Schadenhöhe im Vollkaskobereich bei Elektroautos bis zu 35 Prozent über der vergleichbarer Verbrenner, während die Schadenhäufigkeit bis zu 15 Prozent niedriger ist. In der Kfz-Haftpflichtversicherung – also bei Unfällen, in denen mit einem Auto andere beschädigt werden – ist die Schadenhöhe nur leicht erhöht. „Die Antriebsart hat auf die Höhe dieser Schäden nur einen geringen Einfluss“, sagt GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen. Noch haben Stromer unter anderem aufgrund niedrigerer Laufleistungen und Durchschnittsgeschwindigkeiten insgesamt weniger Haftpflicht- und Vollkaskoschäden. Versicherer warnen aber vor der weiteren Entwicklung. Ursachen sind die hohen Kosten bei Batterieschäden und teure und langwierige Bergungen und Sicherungen von verunfallten Hochvoltgefährten.

GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen verschweigt aber auch nicht, dass ein Teil der höheren Reparaturkosten durch die deutlich niedrigere Schadenhäufigkeit von E-Autos ausgeglichen wird: „In der Kfz-Haftpflichtversicherung verursachen Elektroautos im Durchschnitt fünf bis zehn Prozent weniger Unfälle als vergleichbare Verbrenner“, so Asmussen. Der Grund scheint in einer umsichtigeren Fahrweise der E-Fahrer zu liegen.

E-Autos und ihre Problemzonen

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Die häufig attestierten „Problemzonen“ bei E-Autos – wie die in Folge ihrer veränderten Statik (niedrigerer Schwerpunkt durch im Boden verbaute Batterien) höhere Belastung um Fahrwerk, Achsaufhängung und Bremsen, oder der angeblich höhere Verschleiß und damit Abrieb bei den Reifen (durch mehr Drehmoment) – werden auch durch die strengen Untersuchungen des TÜV bestätigt, allerdings sind die Ergebnisse nach Modellen sehr unterschiedlich.

Gehäufte Mängel über alle untersuchten Marken erkennt TÜV-Verbandsgeschäftsführer Dr. Joachim Bühler bei der Vorderachsaufhängung und bei den Bremsen. Auch die Funktion der Fußbremse wird überdurchschnittlich häufig beanstandet. „Mängel an der Bremse treten bei allen untersuchten E-Autos überdurchschnittlich häufig auf“, sagt Bühler.

„Mängel an der Bremse treten bei allen untersuchten E-Autos überdurchschnittlich häufig auf.“

Dr. Joachim Bühler

Erkannten Mängeln wirken die Hersteller schnell mit technischer Innovation entgegen. Werkstattprofi Costa berichtet begeistert von One-Pedal-Systemen in neuen Modellen, in denen Bremsenergie nicht nur rekuperiert wird, viel mehr werden Gasgeben und Bremsen in einem Pedal zusammengefasst. „Das funktioniert so exakt“, lacht Costa, „dass der Verschleiß auf null Prozent runtergeht.“

Rückruf ist der neue Autotest

Auch Markus Thoben, E-Auto-Experte in der Fachhochschule Dortmund, stellt den E-Autos ein gutes Zeugnis aus: „Der Antrieb aus Motor- und Leistungselektronik ist weniger anfällig als beim Verbrenner“, haben seine Untersuchungen ergeben, „allerdings bringen im E-Auto deutlich häufigere Fahrassistenzsysteme neue Fehlerquellen ins Auto. An Updates und Rückrufaktionen werden sich Halter gewöhnen müssen.“

Was auch Costa aus der Praxis bestätigt: „Rückrufaktionen spielen bei uns eine große Rolle. Der Kunde soll heutzutage ja selbst probieren. Oft ist es nur ein Softwareupdate und das Kennfeld wird anders geschrieben, und dann funktioniert das wieder.“ Kurze Pause. „Aber wie gesagt, als diese Elektrogeschichte angefangen hat, da hätte ich nie gedacht, dass die Elektrofahrzeuge so wenige Probleme machen würden.“ Chancen erkannt!

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