Interview mit Lutz Leif Linden, Präsident Automobilclub von Deutschland (AvD)
Eine Leidenschaft, die Mobilität heißt
18.08.2025
Gerade hat Lutz Leif Linden mit seinem traditionsreichen Automobilclub 125-jähriges Jubiläum gefeiert – doch eigentlich ist sein Blick in die Zukunft gerichtet. Wie wird sich das wichtige Gut der Mobilität entwickeln? Lindens Perspektiven sind dabei einzigartig umfassend und reichen vom alltäglichen Pannendienst bis zum internationalen Motorsport und seinen Beiträgen zu Technologie und Nachhaltigkeit.
Ihr Vater Hans Jürgen führte den Club von 1958 bis 1982. Was machen Sie anders? Was zeichnet den Automobilclub von Deutschland (AvD) heute aus?
Pannen- und Unfallhilfe sind nach wie vor wichtige Dienstleistungen, die wir unseren Mitgliedern bieten. Die Autofahrer wollen weiterhin Sicherheit, aber ihr Anspruch an uns ist komplexer und vielschichtiger geworden. Wunschwerkstatt, Hotelzimmer, Leihwagen – das lässt sich in Deutschland und auch in Europa gut erfüllen. Aber unsere Mitglieder fahren auch mal weiter weg, zumal unsere Mitgliedschaft an die Person und nicht an das Auto gebunden ist. Aber was machen wir, wenn in Israel das Auto liegen bleibt? Oder im Iran? Das sind sehr interessante Fälle, die wir hier von Frankfurt aus dann lösen.
Welche neuen Herausforderungen bringt die E-Mobilität?
Erstmal müssen die Mitarbeiter zertifiziert sein, um überhaupt an batterieelektrischen Fahrzeugen arbeiten zu dürfen. Sie müssen wissen, wo der Schalter ist, der das Fahrzeug stromlos schaltet. Liegen unsichtbare Beschädigungen vor? Wo kann das beschädigte Auto abgestellt werden? In Werkstätten sind 50 Quadratmeter pro beschädigtes E-Fahrzeug vorgesehen. Sicherheitsabstand. Brandschutz. Da kommen Aufgaben auf uns zu, von denen spricht kein Politiker.
Aber – „wir schaffen das“, heißt es doch in Deutschland!
Es ist zusätzlicher Aufwand, aber wir haben ausreichend geschulte Leute. Über 620 Betriebe in ganz Deutschland erbringen für uns diese Dienstleistungen und sind mit über 2200 Abschleppfahrzeugen und Kränen unterwegs. Die wissen, was sie tun, und sind mittlerweile alle zertifiziert. Wir in Frankfurt haben schon vor sechs Jahren den ersten Supercharger vor unserem Haus aufgestellt und investieren jetzt noch einmal 1,5 Millionen in einen neuen Ladepark.
Was geschieht mit den Batterien nach einem Unfall?
Wenn ein Fahrzeug gebrannt hat, müssen die Batterien in einem Wasser-Container abgeschleppt werden. Die Umweltrisiken sind hoch, vor allem für das Grundwasser. Aber auch nach dem Transport stellt sich die Frage: Wohin mit dem kontaminierten Wasser? Wohin mit dem Elektroschrott? Es gibt zwar Lösungen, aber die sind alle sehr teuer.
Wem gehören die Daten, die von digital ausgestatteten Autos während der Fahrt gewonnen werden?
Der Autobesitzer hat ein Anrecht auf seine Daten, ganz klar. Das sind persönliche Daten. Sie fahren jeden zweiten Abend an dem Supermarkt vorbei und kaufen 20 Minuten ein? Das findet sich alles in Ihrem Bewegungsprofil. Viele der Autos haben ein separates Handy verbaut, das via SIM-Karte Daten übermittelt. Die großen Hersteller wissen genau, wo ihre Kunden gerade sind und wie schnell sie fahren. Viele Hersteller wollen ihre Software als „closed Job“ betreiben, um so die Kunden an sich zu binden.
Was unternehmen Sie dagegen?
Der AvD und der Weltverband der FIA sprechen bei der EU in Brüssel mit den Fahrzeugherstellern und machen klar, dass der Besitzer ein Recht auf seine Daten hat und auch die freien Werkstätten einen Zugang haben müssen. Zusätzlich haben wir das Projekt „My Car My Data“ lanciert. Heute ist es so, dass manche Hersteller alle drei Monate die Zugänge neu verschlüsseln oder die Pins in den Steckern anders belegen, damit die Werkstatt mit ihrem Gerät nichts mehr auslesen kann. Wir dagegen möchten, dass wenn die Garantie abgelaufen ist, der Fahrer sagen kann: Mensch, ich habe da den KFZ-Betrieb meines Vertrauens, der kann das auch machen, der ist zertifiziert, da möchte ich, dass der den Fehlerspeicher auslesen und die Daten einordnen kann.
Welche neuen Herausforderungen sehen Sie mit dem Autonomen Fahren auf Sie zukommen?
Woran viele nicht denken, wenn es um das autonome Fahren geht und warum es in Deutschland auch ruhiger geworden ist: Es ist ein sehr teures Unterfangen.
Wie weit sind wir denn wirklich?
Das Kolonnenfahren auf der Autobahn, mit fünf Metern Abstand, das sogenannte Platooning, funktioniert ganz hervorragend. Aber da sind wir noch nicht im Level 5. Und das wird auch noch dauern. Nicht mal Tesla ist schon so weit. An Lastwagen lassen sich auch Kameras und technische Systeme besser anbringen – und dann fahren die von einem Logistikzentrum ins andere. Was uns zu dem Thema führt, warum brauchen wir bei der Bahn noch jemanden, der den Zug bedient?
Beim Autonomen Fahren gibt es viele Projekte, die auf den ÖPNV abzielen, etwa die Pool-Riding-Testflotte in Hamburg von MOIA und VW, die mit den Öffentlichen Verkehrsbetrieben zusammenarbeiten.
Da bin ich bei Ihnen! ÖPNV, ja! Auch beim Fliegen auf der Mittelstrecke wird es kommen. Die Stewardessen sind heute schon nicht mehr wegen des Getränkeverteilens an Bord, sondern für den Notfall einer Evakuierung.
Für den privaten Personenverkehr sind Sie nicht so begeistert?
Die GPS-Systeme, wie sie jetzt zumindest eingesetzt werden, sind viel zu ungenau, um Autos genau zu orten. Beim Militär wird eine Abweichung von 10 Metern toleriert. Dieser Fehler wird rausgerechnet, wenn man eine Rakete abwirft – aber das geht nicht, wenn man mit einem Autonomen Auto über eine schneebedeckte Fahrbahn fährt, wo man keine Fahrbahnmarkierung und keine Seitenbegrenzung mehr hat. Dann landen Sie im Straßengraben.
Bei den MOIA-Tests in Hamburg lässt sich beobachten, dass die autonomen Wagen sich ganz genau an die Verkehrsregeln halten und sich bedächtig in den Kreisverkehr einfädeln. Und genauso ungeduldig und gereizt reagieren die menschlichen Fahrer.
In Amerika ist schon mal eines aus dem Kreisverkehr nicht mehr rausgekommen. Oder der Fahrgast im Robotaxi am Flughafen hat Probleme mit der Kreditkarte zu bezahlen, und bleibt im Taxi eingesperrt. Klar können solche Fahrzeuge auch Staus verursachen. In Amerika verursachen Autonome Autos viele Unfälle beim Auffahren auf die Autobahn, weil sie den Beschleunigungsstreifen nicht richtig nutzen. Wenn wer von hinten kommt, bremsen sie, statt zu beschleunigen und einzufädeln. Da kann der Mensch noch ein bisschen flüssiger fahren.
Mit welcher Ausrichtung nimmt der AvD Einfluss auf die Mobilität der Zukunft? Nehmen wir ein in Deutschland oft verwendetes Schlagwort, die „Technologieoffenheit“. Sind Sie dafür oder dagegen?
Dafür! Im geforderten Tempo von der Klima-Belastung runterzukommen, werden wir schon wegen der hohen Bestandsflotte nicht schaffen, wenn wir nur auf E-Mobilität setzen. Beim gegenwärtigen Produktionsvolumen von E-Autos, würde es 15 Jahre dauern, die Bestandsflotte zu ersetzen. Wenn wir ab sofort austauschen wollten und für Neuverkäufe nur E-Autos ausliefern – ginge das auch nicht, weil wir gar nicht genug Materialien für die Produktion haben. Der Neuwagenverkauf in Deutschland lag 2024 bei 2,8 Millionen, mit einem Elektrowagen Anteil von 14 Prozent. Es ist wichtig sich mit den Autos zu beschäftigen, die wirklich auf den Straßen sind.
Ihre Vorschläge?
Wir brauchen E-Fuels oder andere Arten von Kraftstoffen mit hoher biologischer Beimischung. Technisch gesehen, könnte man heute schon 50 Prozent Bio-Sprit beimischen. Wasserstoff dürfen wir auch nicht abschreiben, im Lastverkehr kann das interessant sein. Wir können die Entwicklung nicht vorhersehen. Wer hätte den je prophezeien können, was das Handy heute alles kann? Deshalb sollten wir aufgeschlossener sein und Technologieoffenheit vertreten. Die Fixierung auf elektrischen Strom finde ich riskant. Grünen Strom haben wir noch nicht in dem Ausmaß. Und es macht keinen Sinn, am Auto den Auspuff abzusägen, um ihn am Kohlekraftwerk wieder anzuschrauben.
Trotzdem steigt der Druck und nach jeder Emissions-Bilanz über die Sektoren wird wieder gesagt, der Verkehrssektor hinke nach bei der Erreichung von Klimazielen. Warum ist das so?
Die Menschen sind nicht immer so leicht zu haben für Veränderungen. Mit der Elektromobilität sind wir, ich will nicht sagen, ganz am Anfang, aber doch am Anfang. Eine Gleichwertigkeit zum Verbrenner-Fahrzeug ist einfach noch nicht gegeben. Überlandfahrten sind immer noch ein Problem ... Die Infrastruktur ist noch nicht da, wo sie sein sollte.
Woran liegt das?
Auch an den Genehmigungsverfahren. Hier in Frankfurt haben wir nur auf die Antwort der Netzdienste, ob unser neuer Ladepark machbar ist, 12 Monate gewartet. Und da haben wir immer noch keine Baugenehmigung – und Finanzierung beginnt dann erst. Sowas schafft Verunsicherung, gerade bei denen, die etwas bewegen wollen.
“Was heute fehlt, ist sowas wie der VW-Käfer, der uns für kleines Geld quer durch Europa gebracht hat - um neue Menschen kennenzulernen und überall Halt zu machen, wo es uns gefallen hat.”
Mit Elektromobilität und Digitalisierung haben wir im Moment viele Entwicklungen, die in Richtung eines individualisierten ÖPNV gehen. Auch ein zentraler Wert der klassischen Mobilität ist Individualität und für die in gewisser Weise auch ihr Verband steht. Ist da ein Zielkonflikt entstanden?
Der Zielkonflikt lässt sich durch Vernetzung auflösen, damit sollen ja gerade individuelle Lösungen entstehen. Ganz klar, dass wir das fördern! Denn heute ist es ja so, jeder Verkehrsbetrieb hat eine eigene Plattform, eine Reise lässt sich gar nicht durchbuchen. Es ist ein Segen, dass jetzt immer mehr Verkehrsträger durch die Website der Deutschen Bahn vernetzt werden. Sonst tut der ÖPNV ja alles, damit die Leute zum Individualverkehr zurückkehren. Gerade am Wochenende sind die Verbindungen schlecht. Wenn Leute etwa in Mannschaften spielen und deshalb viel von Spiel zu Spiel fahren müssen – lässt sich das ohne Auto so gut wie nicht machen. In Frankfurt steht die vermehrte Errichtung von Park And Ride-Anlagen im Koalitionsvertrag der Stadtregierung. Errichtet wurde in den letzten drei Jahren keine einzige. Im ÖPNV-Angebot wurden dagegen im Januar die Fahrpreise erhöht und im Februar wurde der Fahrplan um 30 Prozent reduziert. Also, man macht den Leuten das Umsteigen nicht leicht.
Wie sieht denn das Mobilitätsverhalten der Gen Z aus?
Ein Elektroauto können sich junge Leute nicht leisten, das ist klar. Dann probieren sie Car-Sharing, und merken, wie teuer das ist. Was heute fehlt, ist sowas wie der VW-Käfer, der uns für kleines Geld überallhin gebracht hat. Überall nach Europa! Wir konnten raus und andere Menschen kennenlernen und überall, wo es uns gefallen hat, Halt machen. Dieses Erlebnis wird den jungen Leuten heute genommen. Und man hat ja gesehen, wohin es führt, wenn man Leuten die Individualmobilität nimmt.
Wohin?
Naja, die DDR war nicht gut beraten, ihre Leute einzusperren. Die konnten vielleicht mal bis Ungarn und sind dann auf den Geschmack gekommen – und jetzt? Das ist etwas, das Politiker gar nicht so wahrnehmen. Die haben ihre Bahncard 100 und wenn sie sich wo was angucken wollen, dann fliegen sie einfach hin. Die kennen kein Mobilitätsproblem.
Der AvD hat eine lange Tradition und große Geschichte im Motorsport. Das zeigt unter anderem Ihre Mitarbeit in der FIA und Ihr persönliches Engagement als Präsident der FIA GT Kommission und des FIA Manufacturers‘ Committee. Hat der Motorsport noch das hohe Gewicht als Innovationslabor für die Autoindustrie?
Ohne Zweifel! Wir fahren seit zehn Jahren in der Formel E mit vollelektrischen Rennwagen. Und heute ist die Formel 1 nachhaltiger denn je, denn sie fährt mit einem Hybridantrieb und E-Fuels. Wir sind mit Wasserstoff unterwegs, mit 50 Prozent anteiligen Biospirt.
Ich habe letztes Jahr ein Rennen des FIA GT (Grand Turismo) Worldcup mit hundertprozentigem Biosprit in Macau bei Hongkong fahren lassen. GT-Fahrzeuge können das mittlerweile ohne Umbauten. Historisch ohnehin: Crashzonen, Aerodynamik, Turbo, Scheibenbremsen, Gürtelreifen – alles Entwicklungen, die aus dem Motorsport kommen. Im Rennsport gibt es sofort Feedback, ob etwas funktioniert oder nicht. Bis zum nächsten Rennen muss es auf den Punkt sein! Die Entwicklung ist viel schneller als in der Großserie.
Welche Rennformate sind im Moment die interessantesten?
GT boomt aktuell weltweit, hat so viele Rennfahrzeuge wie nie zuvor und ist im Moment die erfolgreichste Rennkategorie der Welt. In den Costumer-Racing-Serien können auch Amateure mitfahren und beziehen von den Herstellern Fahrzeuge, Teile oder auch Ingenieursleistungen. Für die Hersteller ist das mittlerweile ein richtiger Business Case, aber natürlich auch Markenwerbung. Da gilt der amerikanische Spruch von früher: Win on Sunday, Sell on Monday.
Entstehen spezielle Innovationen auf der Langstrecke?
Wir beschäftigen uns mit Mikroplastik in den Reifen – gut bei Nässe, aber trotzdem weniger Abrieb. Audi hat schon 2006 das 24-Stunden-Rennnen von Les Mans mit einem Dieselrennwagen gewonnen – und was damals entwickelt wurde, steckt heute in jedem Seriendiesel. Das sind auch die Gründe, warum man heute mit so wenig Sprit so weit fahren kann. Im Motorsport werden Treibstoffe nicht sinnlos verblasen, sondern es besteht immer die Prämisse: Maximale Effizienz, wie können wir aus einem Liter Sprit oder einer Batterieladung die meiste Leistung rausholen? Das ist effizient und das ist, was wir alle brauchen.
Warum gibt es seit 2014 in Hockenheim keinen Grand Prix in Deutschland mehr?
Die Formel 1 ist zum Spielball der Interessen einzelner Staaten geworden, die investieren und damit den Wettbewerb verzerren. Man tritt heute gegen Katar, Saudi-Arabien oder Baku an. Wenn der Präsident da 10 Millionen mehr zahlt,haben wir den Grand Prix von Aserbaidschan 2025.
Als ich in den 1980er Jahren als Promoter bei Bernie Ecclestone anfing, war die Formel 1 praktisch unter Kontrolle einer Person. Ecclestone kannte das Geschäft seit den 1960er Jahren und war mit allen Stellschrauben vertraut. Wem kann ich was zumuten? Bei welchem Team muss ich ein bisschen unterstützen? Wie mache ich die Hersteller glücklich? Heute ist das durch die Shareholder ganz anders geprägt. Die wollen eine große Show bieten und einen maximalen finanziellen Output erzielen. Klar wollte auch Bernie Ecclestone Geld verdienen, aber die Teams haben – manchmal auch nach individuellem Bedarf – etwas mehr daran partizipiert.
Warum tut sich die Formel E so schwer mit der Bekanntheit?
Die Formel 1 feiert dieses Jahr 75-jähriges Bestehen, die Formel E gibt es gerade mal elf Jahre. Sie hat nach der Formel 1 die höchstbezahlten Fahrer, das sind alles hochqualifizierte Experten. Aber wenn man in Deutschland auf die Fernsehübertragungen guckt – wo sind die überhaupt zu sehen? Und die ganze Logistik ist anders. Wenn sie in den Städten fahren, wie früher Berlin, London, Paris, in Mexiko-Stadt, Diriyya, Hyderabad, Jakarta, Kapstadt, London oder Shanghai, dann sieht das großartig aus in diesen engen Hochhaus-Schluchten, aber man hat keine Tribünen, vielleicht einmal 3.000 Sitzplätze und die Veranstaltung dauert nur einen Tag. Die permanente Formel 1-Rennstrecke hat pro Tag hunderttausend Zuschauer und an den drei Tagen, die eine Veranstaltung dauert, 300.000. Das ist ein ganz anderer Multiplikator und dann wird das für 1 Milliarde Zuschauer übertragen.