Hätte man Menschen vor 30 Jahren gefragt, ob sie ein Telefon brauchen können, das ein kleiner Computer ist und auf dem man Filme gucken kann, hätten sie ungläubig mit dem Kopf geschüttelt. Nö, wozu? Heute ist das Smartphone unentbehrlich. Zur Unentbehrlichkeit ist es – Stand heute – bei den eVTOL-Fluggeräten, so die offizielle Bezeichnung, noch ein bisschen hin, aber es könnte schneller gehen, als wir denken. eVTOL steht für „electric Vertical Take-Off and Landing“ und bezeichnet elektrisch angetriebene Fluggeräte, die senkrecht starten und landen können.
In Deutschland war zuletzt zwar viel die Rede von Schwierigkeiten und Umstrukturierungen bei den beiden heimischen Pionierfirmen, den finanziellen Problemen bei Lilium, der Zusammenarbeit von Volocopter mit dem früheren Daimler-Chef Dieter Zetsche. Doch weltweit spricht man längst von der „Advanced Air Mobility“, der zweiten Welle der nunmehr etwa 15 Jahre währenden Entwicklungsgeschichte, die auf den Erfahrungen der ersten aufbaut, aber in teils veränderten wirtschaftlichen Strukturen und mit einem deutlich weiter entwickelten Sinn für Kooperationen, Synergien und weltweitem Netzwerken.
Air Mobility mag heute noch wie Luxus wirken, aber vieles spricht dafür, dass sie sich auch in der Breite durchsetzen wird. „Autonome Luftfahrzeuge und fliegende Autos sind keine Science-Fiction mehr, da internationale Projekte und Tests mit Milliardeninvestitionen laufen“, schreibt Marktforscher „Fortune Business Insights“ und prophezeit dem Air-Mobility-Markt ein jährliches Wachstum von 16,9 Prozent. Bis 2040 sieht eine Prognose des US-Investors Morgan Stanley den „UAM (Urban Air Mobility)-adressierbaren Markt“ bei unvorstellbaren 1,5 Billionen Dollar. Gemessen daran ist die Branche noch ganz am Anfang. Es ist ein spannender, globaler Wettbewerb, bei dem die gewinnen werden, die mit ihren Fluggeräten Anwendungen entwickeln, echten „use demand“ erzeugen – und diesen wirtschaftlich befriedigen. Bis dahin ist es nicht mehr weit – wie die folgenden Porträts von fünf führenden Unternehmen zeigen.
Airbus Air Mobility, München
„In vielen Teilen der Welt werden elektrisch angetriebene Luftfahrzeuge in naher Zukunft einen ganz neuen Mobilitätsservice ermöglichen“, sagt Dr. Markus May, Head of Operations für Urban Air Mobility bei Airbus. Bis 2030 werden 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Airbus rechnet damit, dass aus der zu erwartenden Überlastung der Bodeninfrastruktur ein echter Bedarf an innovativen Mobilitätsoptionen entstehen wird. „Eine Lösung könnte sein“, sagt May, „den Menschen eine sichere, kohlenstoffarme und praktische Lösung zu bieten, die den Luftraum über den Städten nutzt.“
Seit 2014 untersucht Airbus, wie jüngste technologische Fortschritte – von Batteriekapazität über Autonomie bis hin zum Elektroantrieb – dazu beitragen können, die Entwicklung neuer Arten von Luftfahrzeugen voranzutreiben. Vorläufiges Ergebnis ist der CityAirbus NextGen, ein vollelektrischer, viersitziger, vertikal startender und landender Prototyp. Basierend auf einem Lift-and-Cruise-Konzept hat der CityAirbus eine Reichweite von 80 Kilometern, eine Geschwindigkeit von 120 Stundenkilometern – und eignet sich für medizinische Zwecke, Shuttle-Dienste und Ökotourismus.
In Deutschland leitet Airbus die Air Mobility Initiative (AMI), die sich auf drei Bereiche konzentriert: eVTOL, UTM (Unmanned Traffic Management)-Dienste sowie Flughafen- und Stadtintegration, einschließlich Vertiports, das sind die Landeplattformen für elektrisch startende und landende Fluggeräte, die auf Dächern, in Bahnhöfen oder auf Parkplätzen integriert werden. Sie sind digital vernetzt und bilden, wenn sie beispielsweise zu einem sicheren „Civil Drone System“ zusammengeschlossen werden, wie es etwa vom Fraunhofer Institut entwickelt wurde, die Voraussetzung für autonomes Fliegen. Angesichts der Komplexität der Aufgaben sieht May nur einen Weg, den er mit der AMI geht: „Es bedarf der gemeinsamen Anstrengung vieler Partner mit unterschiedlichem Profil.“
Joby Aviation, Santa Cruz
Die Story von Joby Aviation ist der typische amerikanische Traum – und doch ein gutes Beispiel für ein pragmatisches, fokussiertes Vorgehen, begleitet von einer Menge von Partnerschaften: Die 2009 von sieben Ingenieuren buchstäblich in einer Scheune in den Bergen von Santa Cruz gegründete Firma zählt heute 1.500 Mitarbeitende und Werke in Santa Cruz, San Carlos, Washington, D.C., und München.
Joby Aviation konzentriert sich auf nur ein Fluggerät: ein sechsmotoriges Flugtaxi für eine Pilotin oder einen Piloten und vier Fahrgäste, das vertikal abhebt und landet – dazu reicht ein Vorgarten. „Wenn Sie mit uns fliegen, fühlt es sich möglicherweise eher an, als würden Sie in ein SUV einsteigen als in ein Flugzeug“, sagt CEO Joe Ben Bevirt. Von Midtown Manhattan zum JFK Airport sollen die Air-Taxis schon bald zu einem marktfähigen Preis abfliegen, konkurrenzfähig zu den 200 Dollar, die Uber dafür abrechnet. Und der Flug mit Joby wird nur sieben Minuten dauern (im Unterschied zu 50 bis 75 Minuten mit dem Auto) und ist emissionsfrei.
Joby Aviation kooperiert mit Toyota, Delta Air Lines und der NASA, hat eine sechsjährige Exklusivlizenz für Flugtaxis in Dubai und arbeitet in großem Umfang für die US Air Force. „Wir glauben fest daran“, erläutert Bevirt seine Strategie, „dass Flugtaxis mit einem Piloten der schnellste Weg sind, die eVTOL-Branche zu etablieren. Autonomes Fliegen ist dann eine weitere Möglichkeit.“
Archer Aviation, San José
Das Start-up Archer Aviation in San José, Kalifornien, ist am Markt der Flugtaxis der direkte Wettbewerber von Joby Aviation in Santa Cruz. Erst 2018 gestartet, hat das Start-up nur halb so lange gebraucht wie die meisten Mitbewerbenden, bis es unmittelbar vor der Betriebsgenehmigung stand.
Im Moment findet nahezu im gesamten weltweiten Markt ein Wettrennen statt, welcher Air-Mobility-Anbieter 2025 die ersten regulären Flüge machen darf. Anlässlich des entscheidenden Probeflugs seines eVTOL-Flugzeugs „Midnight“ sagte Archer-Gründer Adam Goldstein im Sommer 2024 einem US-TV-Sender: „Es hat alles geklappt, jetzt fehlt uns nur noch die Zertifizierung des Flugzeugs selbst.“
Das sind gute Nachrichten für Partner wie Stellantis, die US Air Force und vor allem United Airlines. Letztere hofft, Flugzeuge im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar kaufen zu können, während Archers jüngste Quartalsergebnisse zeigen, dass das Unternehmen über 4 Millionen Dollar in bar verfügt. Klingt nach einem starken Start für das Start-up.
EHang, Guangzhou
Alles, was Flügel hat, fliegt, singen kleine Kinder. EHang hat das modernisiert: Alles, was vernetzt ist, fliegt, ist die Grundidee des Unternehmens. Mit weltweit 1.000 Mitarbeitenden ist EHang eine global agierende Technologieplattform-Firma für elektrische und autonome Luftfahrzeuge. Sitz ist in Guangzhou, Hauptstadt der Provinz Guangdong im Perlflussdelta im Süden Chinas und ein boomender Hightech-Standort. Die Idee für die Gründung hatte EHang-CEO Huazhi Hu 2014, als er bei einem USA-Besuch zum ersten Mal eine Drohne sah, die von einem Smartphone gesteuert wurde. „Ich wünsche mir, dass unsere autonomen Luftfahrzeuge, kurz AAV, in naher Zukunft um die ganze Welt fliegen, damit die Menschen ihre Effizienz und ihren Komfort erkennen können“, beschreibt er seine große Vision.
Der EHang 184 wurde 2016 auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas vorgestellt und war damals die weltweit erste Passagierdrohne. Es folgten nahezu weltweite Kooperationen – in Dubai, den USA, in Lateinamerika und Europa, hinzu kamen strategische Partnerschaften, wie mit der spanischen Stadt Llíria. EHang hat im Mai diesen Jahres als erstes Unternehmen weltweit eine Zulassung für sein Flugvehikel von den chinesischen Behörden bekommen.
Zum Betrieb der Luftfahrzeuge unterhält EHang ein Smart Logistics Ecosystem, das Routen plant und überwacht. Das Unternehmen ist in so gut wie alle internationalen Initiativen involviert, die Konzepte für eine „sichere und effiziente Luft“ über den Ballungsräumen entwickeln, wie das von der NASA eingeführte UAM-System (Urban Air Mobility Airspace Integration Concept).
Vertical Aerospace, Bristol
„Es sind so unglaubliche Vehikel, man glaubt, man ist in einem Film“, ist Gründer Stephen Fitzpatrick, der zuvor ein Formel-1-Team besaß, von der letzten Version seines Elektro-Quadrocopters begeistert, der 2025 in Produktion geht. Der X4 ist ein pilotiertes, emissionsfreies, elektrisches Vertikalstart-Fluggerät mit 100 Meilen Reichweite für vier Passagiere und eine Pilotin oder einen Piloten, das für den Nahverkehr innerhalb und außerhalb von Städten eingesetzt werden soll.
Aktuell konzentriert sich die Firma vor allem auf die weltweite Vermarktung dieses Modells – und ihr Gründer ist mehr als optimistisch: „Die Vorteile der elektrischen Luftfahrt sind so unübersehbar, dass es nicht schwer ist, Menschen davon zu überzeugen. Sie ist 100-mal sicherer, 100-mal leiser und der Betrieb kostet ein Fünftel von dem eines herkömmlichen Helikopters“, sagt Fitzpatrick. „Fluglinien und Luftfahrtbetreibende versuchen verzweifelt, mit den Emissionen und mit den Kosten runterzukommen, und sind wirklich heiß auf diese Technologie.“ 1.500 Exemplare des X4 sind bereits verkauft, an Firmen von Nordamerika bis Japan.