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Wer sich den kurzen Weg vom Hotel zum Campus der Hochschule in Emden nicht zutraut, der ruft vielleicht ein Taxi und verlässt sich auf die Navigation der Fahrerin: „Hyperloop? Zu unserer Röhre wollen Sie, sagen Sie es doch gleich!“ Zwei Ecken hinter der Hochschule liegt sie, die goTube-Teströhre, mit Solarpanelen darauf, die zusätzlich Energie spenden, wenn dereinst Transportkapseln, sogenannte Pods, mit einer Geschwindigkeit von bis zu 750 km/h durch das Vakuum im Inneren der Röhre jagen. Auf solche Geschwindigkeiten ist die Testanlage nicht ausgerichtet, bei einer Testfahrt wurden 45 km/h erreicht – aber die Richtung stimmt.
Mit 27 Metern Länge und einem Durchmesser von nur 1,6 Metern ist „die Röhre“ von Emden die längste Hyperloop-Strecke in Deutschland, auf der große Hoffnungen ruhen. „Umweltfreundliche und energieeffiziente Hochgeschwindigkeitsmobilität – an der Hochschule Emden/Leer wird diese Vision ein Stück weit mehr Realität“, lautet die Botschaft, die Industrie und Wissenschaft mit der goTube-Teströhre verbinden.
2030 soll der Hyperloop in Europa starten

Das Hyperloop-Team an der Emder Hochschule arbeitet in einem europäischen Netzwerk. Die Emder Wissenschaftler haben sich mit anderen Hyperloop-Entwicklern, Bahnbetreibern, Ingenieurbüros und Forschungseinrichtungen aus 13 Ländern zu dem Projekt „Hyper4Rail“ zusammengeschlossen. Das Ziel des Projektkonsortiums ist, die Hyperloop-Technologie bis 2030 zu industrialisieren und in Europa in großem Maßstab einzusetzen.
„Was wir in Emden in der ersten Entwicklungsstufe haben, ist eine Rad-Schiene-Konzeption“, erklären die Professoren Dr. Walter Neu und Dr. Thomas Schüning, die das Projekt ins Leben gerufen haben. „Das wichtigste Element ist die Röhre, in der ein Unterdruck von etwa einem Prozent des Atmosphärendrucks erzeugt wird, zwischen 1 und 10 Millibar. Das reduziert den Luftwiderstand, der bei hohen Geschwindigkeiten den höchsten Energieverlust bringt. Damit können wir uns mit minimalem Energieeinsatz mit einer Geschwindigkeit von 500 bis 800 km/h fortbewegen.“ Und klimaneutral wird der Hyperloop in der größten Ausbaustufe, indem er den Energiebedarf mithilfe von außen an der Röhre angebrachten Solarpanelen deckt.
„Wir beide sind schon seit zehn Jahren dran“, berichten die Professoren, die mit der wechselhaften Geschichte des Hyperloop vertraut sind: „Das Vakuumröhrenkonzept hat ein Brite vor mehr als 100 Jahren vorgestellt, das Konzept der Magnetschwebebahn ein Deutscher in den 1930er-Jahren. Das ist 2013 von Elon Musk aufgegriffen worden, der aber schnell das Interesse daran verloren hat. Mit dem jetzigen Forschungs- und Entwicklungsverbund holen wir die Idee nach Europa zurück“, sagt Walter Neu. „Mit Elon Musk hat das gar nichts mehr zu tun. Allerdings profitieren wir heute noch von der weltweiten Popularität, die er dem Projekt verliehen hat“, so Thomas Schüning.
Eine klimafreundliche Alternative zum Zug- und Fernverkehr - Hyperloop-Testanlage an der Hochschule Emden/Leer. Im Interview Prof. Dr. Walter Neu und Prof. Dr.-Ing. Thomas Schüning (v. l.), Leiter der Hyperloop-Forschung
Der Hyperloop gehört allen
Schon 2013, als Elon Musk die Hyperloop-Idee als freies Entwicklungskonzept zum Wettbewerb ausgeschrieben hatte, meldeten sich allein in der ersten Woche weltweit 700 Entwicklungsteams. Es entstand ein beispielloser Wettlauf zwischen Projekten in den Vereinigten Staaten, China, Südkorea sowie west-, ost- und nordeuropäischen Staaten – und der Hype hält bis heute an. Seit dem Rückzug von Musk hat der finanzielle Einsatz abgenommen, das tut der Begeisterung jedoch keinen Abbruch.
Obwohl die Einwände der Kritiker weiter bestehen – die Errichtung des Hyperloops sei zu teuer, die Vakuumtechnologie nicht so einfach wie dargestellt, die Bremswege seien zu lang, es bestünden Sicherheitsprobleme und es fehle ein Konzept für Toiletten – und obwohl es trotz großer Anstrengungen in den letzten Jahren keinen Durchbruch gab, eher eine ganze Reihe von abgebrochenen Projekten, hält die Faszination Hyperloop an und überträgt sich auf immer neue Generationen von Entwicklern. Warum?
Europäische Kooperation wie bei Airbus
„Der Hyperloop ist für uns als Ingenieure die einzige Lösung, um einen massentauglichen Hochgeschwindigkeitstransport zu erschaffen, der Städte in Europa mit einer Geschwindigkeit verbindet, die mit dem Flugverkehr vergleichbar ist – und das komplett klimaneutral“, zeigen sich Neu und Schüning in ihrer Überzeugung unbeirrbar und sehen sich auch durch die aktuelle Entwicklung des Klimas bestärkt: „Wir müssen uns nichts vormachen. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb für klimaschonende Mobilitätslösungen. Etwa mit China und Indien, die mit ihren vielen Menschen und großen Flächen dringend moderne Mobilitätskonzepte brauchen. China experimentiert mit Magnetschwebetechnik, mit Hochtemperatur-Supraleitern, Verbundmaterialien für die Röhre etc. Auch wir in Europa wollen die optimale Technologie für die Schwebe- und Leittechnik entwickeln, darauf basierend, was wir schon haben.“
„Wir wollen den Hyperloop mit den anderen Verkehrsträgern kombinieren, er ist nie Konkurrenz, sondern immer Ergänzung.“
Das Entscheidende am heutigen „Hyper4Rail“-Projekt sei die europäische Zusammenarbeit. „Wir konkurrieren nicht, wir ergänzen uns. Alle Teststrecken, die jetzt errichtet werden, sind notwendig, weil sie unterschiedliche technische Aspekte berühren: Was passiert mit den Werkstoffen? Wie dauerhaft sind sie? Wie entwickeln wir eine Weichentechnologie, die auch hohe Geschwindigkeiten zulässt? Man kann sich das wie bei Airbus vorstellen: An verschiedenen Orten wird entwickelt und am Ende kommt ein System heraus.“ Als Ort für ein gemeinsames europäisches Entwicklungs- und Zertifizierungszentrum böte sich die Gemeinde Lathen im Emsland an, wo auch der Transrapid entwickelt wurde, dessen Strecke dort noch steht.
Schiene oder Schwebetechnik?

Der Hyperloop ist weder eine abgeschlossene Technologie noch ein Produkt von der Stange. Er ist ein freies Entwicklungskonzept; seine Anwendungen und Spezifizierungen können und müssen im Einzelnen noch entwickelt und an den regionalen Bedarf angepasst oder mit bestehenden Lösungen vernetzt werden. „Der Kern des Hyperloop ist die Röhre; im Vakuum, das sich günstig erhalten lässt, stecken die höchsten Effizienzgewinne. Gefahren werden kann dann auf der Schiene oder in Schwebetechnik, es kommt darauf an, was sinnvoll ist.“ So ist Geschwindigkeit dabei kein absolutes Ziel, denn was bringen 750 km/h, wenn sich dadurch die Haltestellen-Distanzen im Netz verlängern und sich die Effizienz reduzieren könnte?
Auf das Kostenargument reagieren die Emder Professoren gelassen: „Die Streckenkosten pro Kilometer sind etwas höher als bei einer Hochgeschwindigkeits-ICE-Strecke. Die Mehrkosten rechnen sich jedoch extrem schnell wegen der geringen Betriebskosten.“ Neben der Energie- und Klimaeffizienz ist der geringe Flächenbedarf ein weiterer Kosten- und Infrastrukturvorteil. Auf beiden Seiten von Bahnstrecken braucht es Wartungsbereiche, das fällt bei den Röhren weg, die auch wie eine Sicherheitsummantelung wirken, die Landwirtschaft kann ganz nah heranrücken. Eine Möglichkeit wäre, die nicht bebauten Mittelstreifen auf Autobahnen für aufgeständerte Hyperloop-Röhren zu nutzen.
Lösungen für Cargo und Personenverkehr

Bezogen auf Anwendungen beschäftigen sich die Emder zunächst mit dem Gütertransport. In dem EU-Projekt „ePIcenter“ wurde die Versorgung zweier Industriestandorte mit Hyperloop dahingehend untersucht, wie weit das möglich ist, vom Durchsatz und von der Technologie her: „Es ließ sich sehr gut zeigen, dass Industriegebiete, die in einer Stadt liegen, mit dem Hyperloop komplett vom Zulieferverkehr befreit werden können“, berichten Neu und Schüning. „Wenn wir beim Cargo mit einem Rad-Schiene-System eine Geschwindigkeit von 200 bis 300 km/h entwickeln, sind wir schneller als jeder LKW und klimaneutral ohnehin. Eine solche Lösung für bestimmte Strecken ist heute schon vollkommen realistisch.“
„Das größte Potenzial spielen wir beim Personenverkehr aus. Entweder als Alternative zum europäischen Flugverkehr oder zum ICE in Deutschland“, heißt es in Emden, „und zwar auf mittlere und große Distanz. Wenn wir Personen mit dem Hyperloop transportieren, setzen wir Kapazitäten für den Gütertransport frei. Wir könnten mit dem Hyperloop definitiv den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene bringen. Investitionen in den Hyperloop wären effizienter und nachhaltiger als solche in weitere Straßen.“
Eine Vision für Leben und Arbeiten in Europa
Rückenwind verspüren die optimistischen Professoren in Deutschland, weil eine Hyperloop-Referenzstrecke als wichtiges Infrastrukturprojekt in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aufgenommen wurde. Und Hamburg hat sich für die Umsetzung angeboten.
Jetzt ist die EU gefragt. Welche Projekte sie damit verbinden kann, davon haben die Emder klare Vorstellungen: „Die einzelnen Mitgliedsstaaten sollten ein Interesse daran haben, das Hyperloop-Netz gleich europäisch zu denken, weil sich dann auch die Zentren in Europa miteinander verbinden lassen“, meinen Neu und Schüning, „bei den Geschwindigkeiten, über die wir jetzt sprechen, sagen wir 500 km/h können entlegene an urbane Gebiete angekoppelt werden. Alle könnten dort leben, wo sie wollen, und binnen sehr kurzer Zeit ihre Arbeitsstätte erreichen und wieder nach Hause fahren. Kombiniert mit Telearbeit und Homeoffice ergibt sich so ein ganz neues Wohn- und Arbeitskonzept, das man europaweit denken kann.“