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U-Bahn in Paris

Klima-Check

Wie smart ist Europas ÖPNV?

17.03.2025

Städter, die Auto fahren, verursachen zwei- bis dreimal mehr Klimagase als die Nutzer von Bus und Bahn. Der ÖPNV in Europa ist zugleich kein Selbstläufer. Nachhaltige Antriebe, digitale Infrastruktur – jeden Tag führen die Verkehrsbetriebe den Kampf um mehr Nutzer und höhere Klimaeffizienz. Längst ist der ÖPNV europaweit der „Innovation-Hub“ für Mobilität in der Stadt mit unzähligen Ideen und Projekten.

Lesedauer: 6 Minuten

Der nachhaltige Verkehr von morgen

Grafik: Der nachhaltige Verkehr von morgen

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) spielt eine zentrale Rolle im Kampf um die Begrenzung der Klimakrise. Während die CO₂-Emissionen in der EU von 1990 bis 2023 kontinuierlich zurückgegangen sind, ist der Verkehr der einzige Bereich, in dem die Emissionen heute höher als im Jahr 1990 sind. Angesichts der zunehmenden Urbanisierung und der gleichzeitig wachsenden Mobilitätsanforderungen muss sich der ÖPNV weiterentwickeln, zumal er verschiedene Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen hat. So muss er dazu beitragen, die CO₂-Emissionen zu reduzieren, den Autoverkehr zu entlasten und soziale Teilhabe zu ermöglichen. In Europa ist der ÖPNV nicht nur ein Verkehrsmittel, sondern ein Schlüsselelement für nachhaltige Stadtentwicklung und Lebensqualität. Weltweit gehören europäische Nahverkehrssysteme in puncto Mobilität immer noch zur Spitze: So gilt Berlin laut einer Befragung der Einwohner von 50 Metropolen weltweit (2023) beispielsweise als die Stadt, in der es am einfachsten ist, sich mit dem ÖPNV durch die Stadt zu bewegen. Der alte Kontinent bietet eine Vielzahl von Modellen und Ansätzen im öffentlichen Nahverkehrssektor, die von zentralisierten Systemen wie in Frankreich bis zu dezentralen Strukturen wie in Deutschland reichen.

Viele Wege führen zum Ziel

Grafik: Top 10 EU-Länder nach Fahrkartenangebot im ÖPNV

In Europa gibt es zwei grundlegende Organisationsmodelle des ÖPNV: zentralisierte und dezentrale Systeme. So setzen Länder wie Frankreich auf eine zentrale Steuerung, wobei der Staat wesentliche Entscheidungen trifft und einheitliche Standards vorgibt. Dies ermöglicht eine koordinierte Entwicklung und oft schnellere Entscheidungen bei Investitionen. Im Gegensatz dazu ist der ÖPNV in Deutschland stark dezentral organisiert. Das bedeutet, dass die Verantwortung diesbezüglich bei den Kommunen und Bundesländern liegt. Während dies eine stärkere Anpassung an regionale Bedürfnisse ermöglicht, führt es auch zu Fragmentierung und heterogener Servicequalität. Allerdings bietet Deutschland ein flächendeckendes Netz und durch die Einführung des 49-Euro-Tickets (das seit Jahresbeginn 58 Euro kostet), ist die Attraktivität von Bus und Bahn enorm gestiegen. Mit Pilotprojekten wie dem der Hamburger Hochbahn auf dem Weg zur Klimaneutralität 2030 beweist das Land zudem nachhaltige Innovationsstärke. Auch die 1.100 Dieselbusse tauscht man hier bis Anfang der 2030er Jahre gegen emissionsfreie E-Fahrzeuge aus. „Der ÖPNV muss in seiner Gesamtheit ein attraktives Angebot bieten, indem er verschiedene ÖPNV-Angebote sowie andere Verkehrsmittel intelligent miteinander kombiniert“, sagt Prof. Dr. Josef Becker von der Frankfurt University of Applied Sciences. Becker forscht mit seinem Team an einem System zur Entscheidungsunterstützung für die Nutzung autonomer Kleinbusse im ländlichen Raum zum kombinierten Transport von Personen und Gütern. Im Mai dieses Jahres werden die Ergebnisse veröffentlicht.

„Der ÖPNV muss in seiner Gesamtheit ein attraktives Angebot bieten, indem er verschiedene ÖPNV-Angebote sowie andere Verkehrsmittel intelligent miteinander kombiniert.“

Prof. Dr. Josef Becker

Die Vernetzung aller Verkehrsträger

Grafik OV-Chipkarte

In den skandinavischen Ländern steht das Thema „intermodaler Verkehr“ schon länger auf der Agenda. Hier arbeitet man seit den 2010er Jahren an der engen Verzahnung unterschiedlicher Verkehrsträger. So werden etwa Busse, Bahnen und Fahrradsysteme optimal vernetzt, um den Nutzern eine nahtlose Mobilitätskette zu bieten. Berühmt für hervorragenden Service ist die Stockholmer Tunnelbana (U-Bahn) mit ihrer hohen Taktung und ihrem einfachen System von Tickets, die mit nahezu allen Bezahlarten online sowie an vielen Stellen der Stadt gekauft werden können. Die Anbindung an andere Transportsysteme wie Fahrräder oder Carsharing-Anbieter an Knotenpunkten ist zudem gegeben. Einen ähnlichen Weg haben die Niederlande seit 2011 eingeschlagen. Mit der „OV-Chipkaart“ (OV = Openbaar Vervoer, öffentlicher Verkehr) bietet die Niederlande seinen Fahrgästen die digitalisierte Bezahlmethode, mit der man die Zugangsberechtigung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln regelt. Damit sind Nutzer des öffentlichen Verkehrs in den gesamten Niederlanden mobil, ohne einen Gedanken an unterschiedliche Tarife oder Bezahlarten zu verschwenden.

Die 15-Minuten-Stadt

Grafik: Die 15-Minuten-Stadt

„Um die Klimakrise zu bewältigen, ist die Stadttransformation zweifellos Teil der Lösung“, sagt Prof. Carlos Moreno, der an der Universität Sorbonne in Paris am Lehrstuhl für Entrepreneurship Territory Innovation lehrt. Moreno ist für seine weitreichenden Arbeiten zur Zukunft nachhaltiger Städte bekannt – vor allem die Idee der 15-Minuten-Stadt: „Das Ziel ist, die Qualität städtischen Lebens zu verbessern, indem der Schwerpunkt auf der Nähe zu den wesentlichen Angelegenheiten des täglichen Bedarfs liegt, die in 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad von zu Hause aus erreichbar sind“, sagt Moreno. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo setzt das Konzept schrittweise um. Sie ließ seit 2014 über 400 Kilometer neue Radwege anlegen, sperrte weite Abschnitte des Seine-Ufers für Autos und führte eine weiträumige Tempo-30-Zone ein. Dem Prinzip der nahen Stadt folgend investiert das Land kontinuierlich in die Modernisierung seiner Metro-Systeme. Insbesondere in Paris wird das Regionalnetz ausgebaut. Die Pariser Verkehrsbetriebe, Régie autonome des transports Parisiens (RATP), sorgen für ein effizientes und weitreichendes Netz und arbeiten zunehmend an der Digitalisierung ihres Systems. So fahren auf den drei Metrolinien 1, 4 und 14 vollautomatische Züge zu Stoßzeiten im Drei-Minuten-Takt, pünktlich und sparsam.

Osteuropas Vorreiter und Aufholer

Grafik: Mit dem ÖPNV durchschnittlich zurückgelegte Strecke in EU-Ländern

Auch in Osteuropa gibt es bemerkenswerte Entwicklungen im ÖPNV, die oft durch eine EU-Förderung ermöglicht werden. „Gerade die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind sehr fortschrittlich, denn hier sind die Ticketsysteme längst digitalisiert. Da wirken sogar die Chipkaart-Systeme schon old fashioned“, sagt Prof. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin. „Was allerdings noch fehlt, ist der bruchlose Übergang von Bus oder Bahn zu E-Scootern, Fahrrädern oder Taxis“, sagt Knie. Dabei zeige primär Berlin tolle Ansätze mit Mobilitäts-Apps wie Jelbi, die öffentliche und Sharing-Angebote kombinieren, so Knie. Weitet man den Blick auf Städte wie Warschau, Prag oder Budapest, so entdeckt man neue und leistungsfähige Systeme mit hohen Nutzerzahlen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgebaut wurden und sich an westlichen Standards orientieren. In Budapest gibt es etwa eine zentrale App, die die Nutzung des ÖPNV erleichtert. Zudem bietet Ungarn kostenfreie Tickets für alle Menschen ab 65 Jahren an, was die soziale Inklusion fördert. Es ist kein Zufall, dass das Land bezogen auf die mit dem ÖPNV zurückgelegte Strecke pro Kopf im Jahr mit durchschnittlich 2.600 Kilometern auf Platz 4 der EU-Staaten liegt. Dazu nutzen die Ungarn mit einem Anteil von 36 % der zurückgelegten Personenkilometer gleich nach Österreich (mit 38 %) auch am häufigsten in Europa ihre öffentlichen Verkehrsmittel.Trotz der Fortschritte bestehen in Osteuropa noch Herausforderungen, vornehmlich beim Ausbau der Infrastruktur und der Modernisierung des ländlichen Verkehrs. Die Kosteneffizienz ist zudem oft ein Problem, da die Systeme bisher nicht so effizient sind wie in Westeuropa.

„Gerade die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind sehr fortschrittlich, denn hier sind die Ticketsysteme längst digitalisiert.Was allerdings noch fehlt, ist der bruchlose Übergang von Bus oder Bahn zu E-Scootern, Fahrrädern oder Taxis.“

Prof. Andreas Knie

Zukunft wird schnell Realität

Grafik: Autonomer ÖPNV in Europa

Intermodulare Konzepte, die verschiedene Verkehrsträger bündeln, digitale Mobilitätsplattformen und die optimierte Buchung und Routenplanung per Handy und Verkehrsbetriebs-App haben sich in den europäischen Städten etabliert; der Ticketautomat ist ein Auslaufmodell, der Anteil gedruckter Tickets geht schnell zurück. Digitale Routenplanung findet die kürzeste Strecke und schont zusätzlich das Klima, indem sie emissionsfreie Verkehrsträger einbindet und deren Nutzung erleichtert, wie beim Modell „Stadtrad“. Ein weiteres Zukunftsthema sind emissionsfreie Antriebe wie bei Elektrobussen und Wasserstoffzügen. Ihnen wird eine Schlüsselrolle zukommen, um die EU-weiten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Und selbst wenn es Rückschläge bei der Einführung dieser neuen Technologie gibt, wie etwa 2024 in Hessen, sollten diese Projekte weiter vorangetrieben werden. Zudem wird die Vernetzung der Verkehrsmittel immer wichtiger. Mobilitätsplattformen, die verschiedene Transportoptionen bündeln, können den ÖPNV nutzerfreundlicher machen. Städte wie Berlin, Helsinki und Wien setzen bereits auf solche intermodalen Konzepte. Verschiedene Forschungs- und Pilotprojekte nähren zudem die Hoffnung, dass autonome Shuttle-Busse wesentlich dazu beitragen können, den „abgehängten“ ländlichen Raum besser einzubinden und etwa das Pendeln zu erleichtern – eine Alternative für die vielen, die jetzt noch auf das Auto angewiesen sind. Während U-Bahnen in vielen europäischen Städten wie Paris, Nürnberg, Budapest, Kopenhagen, Barcelona und Mailand schon lange vollautomatisch fahren – im nordfranzösischen Lille ging bereits 1983 die erste selbstfahrende U-Bahn der Welt in Betrieb  –, sind fahrerlose Busse, die den hochkomplexen Straßenverkehr meistern müssen, noch Pilotprojekte. Frankreich und Deutschland waren im Jahr 2021 die ersten Länder weltweit, die einen Rechtsrahmen für den Einsatz von autonomen Fahrzeugen im Linienverkehr geschaffen haben. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verzeichnet derzeit über 15 autonome Shuttle-Bus-Projekte im ÖPNV, wobei Hamburg mit drei Projekten deutschlandweit die führende Stadt ist.

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