Überspringen
E-Auto an Ladestation vor einem Haus

E-Autos als Stromspeicher

09.09.2025

Bidirektionales Laden ist technisch längst möglich. Was bremst das Potential dieser stillen Revolution für den Umstieg auf erneuerbare Energien, der inzwischen nicht nur in Deutschland „Energiewende“ genannt wird?

Lesedauer: 6 Minuten

Können E-Autos die Transformation in Richtung erneuerbarer Energien beschleunigen? Und lässt sich für E-Autos gleichzeitig damit die Frage beantworten: Wie lässt sich der unregelmäßige erneuerbare Strom stabilisieren?
Was sich im Moment wie die Quadratur des Kreises anhört, führt in Deutschland unter dem Begriff „bidirektionales Laden“ noch ein eher unauffälliges Dasein, obwohl es etwa beim Projekt BDL Next in München bereits alltagsfähig konzipiert ist. Nehmen wir zum Beispiel einen Stromausfall an, wie er in vielen Ländern häufig stattfindet. Der Verbraucher muss ihn gar nicht bemerken, das Licht geht nicht aus, alle elektrischen Geräte bleiben in Betrieb. Nicht etwa, weil ein Notstromaggregat anspringt, sondern weil das E-Auto übernimmt. Bidirektionales Laden macht’s möglich: Das E-Auto speist den Strom zurück ins Hausnetz.

E-Auto hängt an einer Wallbox neben einem Fahrrad
Foto: AleaIL

Hinter dem Konzept des bidirektionalen Ladens verbirgt sich ein einfaches Prinzip: Strom fließt nicht nur vom Netz in die Fahrzeugbatterie, sondern auch umgekehrt, von der Autobatterie zurück ins Hausnetz (Vehicle-to-Home, V2H), ins öffentliche Stromnetz (Vehicle-to-Grid, V2G) oder in größere Gebäudeinfrastrukturen (Vehicle-to-Building, V2B). In Zeiten volatiler Stromerzeugung aus Sonne und Wind eröffnet das eine neue Dimension: Elektroautos werden zu mobilen Pufferspeichern. Sie können überschüssige Energie aufnehmen und bei Bedarf gezielt abgeben. Da Fahrzeuge rund 95 Prozent der Zeit stehen, liegt hier ein riesiges Speicherpotenzial buchstäblich auf der Straße.

Echtes Potenzial für Unternehmen

E-Auto wird geladen, Frau und Kind gehen ins Haus
Foto: Ralph Hahn

„Der Kerngedanke ist ja, dass wir die Netze mit den erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne mithilfe des bidirektionalen Ladens stabil halten wollen. Und damit das funktioniert, muss die Technologie sehr sicher sein“, erklärt Luca Husemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt BiFLex-Industrie an der Universität Duisburg-Essen. Konkret untersucht Husemann, wie Unternehmensflotten als flexible Energiespeicher eingesetzt werden können. Auch hier ist die Vision, dass Millionen von E-Autos Lastspitzen abfangen, das Netz stabilisieren und Haushalte unabhängiger vom Strompreis machen. Wenn viele kleine Speicher flexibel reagieren, können sie nämlich Engpässe im Stromnetz ausgleichen und so den Bedarf an fossilen Reservekraftwerken reduzieren.

Gerade für Unternehmen mit größeren Fahrzeugflotten eröffnet das bidirektionale Laden ein bislang kaum genutztes Potenzial, sowohl betriebs- als auch energiewirtschaftlich. Denn Fuhrparks, etwa bei Logistikfirmen, kommunalen Dienstleistern oder Energieversorgern, verfügen oft über mehrere Fahrzeuge, die regelmäßig über längere Zeiträume auf dem Betriebshof stehen. Diese Zeiten können genutzt werden, um nicht nur Strom zu laden, sondern bei Bedarf auch Energie zurückzuspeisen, sei es ins eigene Betriebsgelände oder sogar ins öffentliche Netz. „Bei Unternehmensflotten lässt sich die Nutzung besonders gut planen, was die Voraussetzung für eine effiziente Rückspeisung ist“, sagt Husemann.

„Wir wollen die Netze mit den erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne mithilfe des bidirektionalen Ladens stabil halten. Damit das funktioniert, muss die Technologie sehr sicher sein.“

Luca Husemann

Auch David Meyer, Projektleiter im Forschungsprojekt BiFlex-Industrie, sieht in diesem Segment enormes Potenzial, erklärt aber auch, wo noch Herausforderungen bestehen. „Aktuell kostet eine bidirektionale Wallbox rund 4000 Euro. Pro Jahr und Fahrzeug lassen sich damit aber je nach Anwendung Einsparungen oder Erlöse von 200 bis 800 Euro erzielen. Das stellt für Unternehmen natürlich noch ein großes Hemmnis dar“, sagt Meyer. Ein weiteres großes Thema sei die Netzlast: „Betriebe mit einem Jahresstromverbrauch über 100.000 kWh zahlen besonders viel, weil sie zusätzlich zum Arbeitspreis noch den Leistungspreis für die Lastspitze bezahlen müssen. Durch das Lastmanagement mit dem bidirektionalen Laden könnten sie aber die Lastspitzen senken und so massiv Kosten einsparen.“

Für Unternehmen ergeben sich weitere Vorteile durch das bidirektionale Laden: Sie können zum einen die Eigenverbrauchsquote ihrer selbst erzeugten Solarenergie erhöhen, Stromkosten durch zeitversetztes Laden und Entladen optimieren und zum anderen sogar Einnahmen erzielen, wenn sie ihre Batterien am Regelleistungsmarkt anbieten. Ferner stärken sie ihr Nachhaltigkeitsprofil, ein nicht zu unterschätzender Faktor im Wettbewerb um Aufträge und Fachkräfte.

Die Herausforderungen stecken im Detail

Auto von hinten neben einem Holzhaus
Foto: Hyundai

Was technologisch eine hervorragende und nachhaltige Lösung darstellt, stößt jedoch in der Realität auf eine Reihe von Hindernissen.

Denn trotz funktionierender Technik, erfolgreicher Pilotprojekte und enormem Potenzial steckt das bidirektionale Laden bei der Umsetzung noch in den Kinderschuhen. Während sich Deutschland noch mit regulatorischen Fragen abmüht, zeigen andere Länder, wie es gehen könnte. So gilt im US-Bundesstaat Kalifornien die Rückspeisung von E-Autos längst als Teil regionaler Energiepläne. In Japan wird V2H seit Jahren gefördert, nicht zuletzt als Notstromlösung nach dem Tsunami von 2011. Auch China testet bidirektionales Laden in großem Maßstab, mit klaren Vorgaben und staatlicher Unterstützung. Auch die EU-Kommission stuft in ihrer Strategie für vernetzte Mobilität bidirektionales Laden als Schlüsseltechnologie der Sektorkopplung ein.

E-Auto wird mit einer Wallbox geladen

Damit bidirektionales Laden aber in Deutschland ein wirklicher Erfolg in der Breite wird, muss ein E-Auto, je nach Netzbedarf, Preisschwankungen oder der PV-Erzeugung am eigenen Dach, den Strom sicher bereitstellen können. Damit das höchst effizient gelingt, braucht es ein ganzes Ökosystem, wie geeignete Ladestationen, normierte Kommunikationsprotokolle, intelligente Steuerungssoftware und einen rechtlichen Rahmen, der all das ermöglicht. Zudem müssen Netzbetreiber, Energieversorger, Fahrzeugproduzenten und IT-Dienstleister zusammenspielen.

Ein Blick auf das Projekt BDL-Next zeigt am Beispiel Deutschland, wie komplex die Materie ist, denn die Herausforderungen stecken im Detail. Bei BDL-Next arbeiten Netzbetreiber, Autohersteller wie BMW, Energieversorger, Softwarefirmen und Forschungsinstitute zusammen, um technische Schnittstellen zu definieren, Rückspeisungen ins Netz zu testen und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

„Erst wenn klar ist, wer wofür verantwortlich ist und wie abgerechnet wird, kann das bidirektionale Laden skaliert werden“, sagt Vincenz Regener, Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft und Projektleiter bei BDL-Next.

Regener verweist auf Aspekte, die eine schnellere Entwicklung des bidirektionalen Ladens behindern: „Ein weiterer Punkt ist sicherlich, dass die Standardisierung und Normung der einzelnen Komponenten bisher schlicht nicht so weit ist.“ Kommunikationsprotokolle nach ISO 15118-20 existieren zwar, sind aber bislang nicht verbindlich und bergen weiterhin Interpretationsspielraum. Neben rechtlichen Unsicherheiten und unterschiedlichen Ansätzen bei der Ladeinfrastruktur bremse dies die Entwicklung, so Regener.

„Bidirektionales Laden skaliert erst, wenn Verantwortlichkeiten, Abrechnung, Standardisierung und Normung geklärt sind.“

Vincenz Regener

Der Weg aus der Nische

Um bidirektionales Laden in Deutschland aus der Nische zu holen, braucht es mehr als technologische Reife. „Wir benötigen klare Standards, eine einheitliche Regulierung, Anreize für Hersteller und Investitionen in Infrastruktur“, fordern Experten wie Husemann und Regener unisono. „Am Ausbau der Ladeinfrastruktur im Unternehmenskontext hapert es ja schon“, gibt Husemann zu bedenken.

Ein besonders brennendes Problem in Deutschland: „Mobile Speicher werden gesetzlich nicht wie stationäre Speicher behandelt und daher doppelt besteuert. Einmal, wenn sie Strom laden, und ein zweites Mal, wenn sie den Strom abgeben. Eigentlich will der Gesetzgeber diesen Umstand noch in diesem Jahr beheben. "Allerdings ist das schon lange im Gespräch“, kritisiert Meyer. Auch bei der Datenkommunikation sieht er dringenden Handlungsbedarf: „Trotz der standardisierten Datenschnittstelle zwischen Fahrzeug und bidirektionaler Ladesäule kommt es zu Problemen, da der Standard teils noch nicht vollständig implementiert ist oder nicht alle erforderlichen Daten einschließt“, so Meyer.

Meyer verweist in diesem Zusammenhang allerdings auch auf internationale Bemühungen: „Es gibt auf europäischer Ebene etwa die ‚Coalition of the Willing on Bidirectional Charging‘, wo sich unter anderem Vertreter aus der Energie- und Automobilbranche über Standards zu einigen versuchen. Bisher hatten diese beiden Seiten, abgesehen vom normalen Laden, nicht so viel miteinander zu tun. Aber jetzt ist der Prozess komplexer, weil es auch um Stromabgabe geht. Und hierfür müssen neue Lösungen gefunden werden.“ Auch die Netzbetreiber müssen stärker als aktive Gestalter der Energiewende eingebunden werden. Und nicht zuletzt geht es um Vertrauen: Bürger müssen das Gefühl haben, dass ihr Beitrag zählt und sich auszahlt.

„Trotz der standardisierten Datenschnittstelle zwischen Fahrzeug und bidirektionaler Ladesäule kommt es zu Problemen, da der Standard teils noch nicht vollständig implementiert ist oder nicht alle erforderlichen Daten einschließt.“

David Meyer

Wie viel Potenzial dahinter steckt, zeigt das Beispiel von Uwe Möller aus dem Rheinland, einem der privaten Testnutzer im BDL-Next-Projekt. Sein E-Auto, ein BMW i3 mit bidirektionaler Schnittstelle, ist tagsüber meist nicht unterwegs, sondern hängt an der Wallbox. Wenn die Sonne scheint, lädt es sich selbst mit Strom vom Dach. Abends, wenn die Familie kocht, das Licht brennt und der Strom teuer ist, speist das Auto kontrolliert Energie zurück ins Haus. „Ich spare dadurch nicht nur Geld“, sagt Möller, „ich habe auch das Gefühl, Teil eines intelligenten Systems zu sein.“ Der Fall zeigt: Die Technik ist da. Jetzt braucht es den politischen Willen, klare Regeln und das Vertrauen der Nutzer, damit aus der Ausnahme ein flächendeckender Standard wird.

Das könnte Sie ebenfalls interessieren: