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Förderanlagen und Salzhalden in einer Lithium-Salzwüste mit Bergen im Hintergrund.

Interview mit Prof. Dr. Martin Bertau

Wo soll das Lithium herkommen?

25.09.2025

Lithium ist der entscheidende Rohstoff bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen – nicht nur bei der E-Mobilität. Europa befürchtet beim Lithium eine Abhängigkeit von China und setzt daher auf Herkunftsländer wie Chile oder Argentinien, obwohl es in Europa ausreichend Lithium gibt. Zugleich bestehen Möglichkeiten, um die Abhängigkeit von Lithium zu reduzieren, erklärt Dr. Martin Bertau, Professor für Technische Chemie an der TU Freiberg in Sachsen.

Lesedauer: 8 Minuten

Prof. Dr. Martin Bertau, Leiter des Instituts für Technische Chemie an der TU Freiberg
Prof. Dr. Martin Bertau, Leiter des Instituts für Technische Chemie an der TU Freiberg

Weltweit besteht eine enorme Nachfrage nach Lithium. Wenn man die verschiedenen Batterietypen betrachtet – muss der Lithiumanteil langfristig so hoch bleiben? Und wie steht es um die Verfügbarkeit anderer verbauter Rohstoffe wie Kobalt?

Lithium ist ein wachsender Markt; es ist nicht nur Bestandteil von E-Auto-Batterien, sondern zunehmend auch von Haushaltsgeräten. Kritisch ist die Versorgung mit Kobalt, das für NMC-Akkus gebraucht wird. Damit ließe sich, wenn wir weiter elektrifizieren, etwa der deutsche Bedarf vom Weltmarkt gar nicht decken. Es gibt jedoch Alternativen: Lithium-Eisenphosphat-Batterien sind mittlerweile viel leistungsfähiger und jetzt auf einem ähnlichen Leistungsniveau wie die NMCs. Und Natrium-Eisenphosphat-Batterien sind im Kommen.

Arbeiter montiert Lithium-Ionen-Batterien in moderner Fabrik.
Lithiumbatterie-Produktion in China. Bildrechte: picture alliance / CFOTO

China hat beim Abbau und der Verarbeitung von Lithium für E-Auto-Batterien eine Sonderrolle. Worin ist diese begründet und ist der Vorsprung noch einzuholen?

Dass China so stark in eigene Technologien investiert, spricht dafür, dass Lithiumbatterien noch längere Zeit am Markt bleiben werden. Hinzu kommt, dass China vor Kurzem bekanntgegeben hat, eine große Lagerstätte gefunden zu haben, aus der Lithiumerz gewonnen werden kann. Die Lithiumerzgewinnung und -produktion werden langfristig in China bleiben. Dadurch nehmen die Möglichkeiten Chinas, den Marktpreis zu beherrschen, zu. Nach der Hochpreisphase 2022 mit über 84.000 USD waren im Juli 2025 nur noch 8.400 USD für eine Tonne Lithiumcarbonat zu bezahlen, derzeit sind es 11.400 USD. Man nimmt an, dass die Preispolitik bei rund 10.000 USD liegt, während man hört, dass bei europäischen Lithiumprojekten mit über 20.000 USD kalkuliert wird. Zinnwaldit, der Lithiumeisenglimmer, der auch in Deutschland und Tschechien vorkommt, bietet dabei als heimischer Rohstoff erhebliche Chancen.

Um die Abhängigkeit von China zu reduzieren, setzt die europäische Industrie stark auf Lithium aus Argentinien oder Chile. Was ist grundsätzlich falsch an dem Gedanken, in diesen Ländern Lithium abbauen zu lassen?

Grundsätzlich nichts. Wenn wir Lithium aus Chile und Argentinien beziehen und damit sowohl dort den Wohlstand vor Ort steigern als auch zum Klimaschutz beitragen, ist das durchaus überlegenswert. Man sollte bei uns jedoch nicht so tun, als wäre das E-Auto emissionsfrei. Es hat den Emissionspunkt woanders, eben nicht auf der Straße. Irgendwoher muss die Energie ja kommen. Dabei verursacht auch die Herstellung der Batterien und der weiteren Fahrzeugkomponenten Emissionen. Das ist bei einer Fahrzeuggattung nichts Besonderes. Aber die Umweltlast einfach in ärmere Länder zu exportieren, das halte ich für unethisch – nur weil wir keine eigenen Bergwerke bei uns haben wollen.


Resultiert nicht schon aus der Lieferkette ein gehöriger „CO₂-Rucksack“?

Um das einmal zu illustrieren: Das Soda, das man braucht, um Lithiumcarbonat aus der Sole zu lösen, kommt aus Bernburg in Deutschland. Das wird über die Straße zum Hamburger Hafen transportiert. Dann schippert es über das Meer nach Lateinamerika. Dort geht es per Straßentransport in die Wüste, zurück zum Hafen und von dort nach China. Dort finden die ersten Schritte der Verarbeitung zur Lithiumbatterie statt. Dann geht es weiter nach Südkorea. Von dort oder direkt aus China kommen die Batterien schlussendlich zu uns.

Bagger im Lithium-Bergwerk baut wertvolles Mineral für Batterien ab.
Lithium wird beispielsweise in Australien durch den Abbau lithiumhaltigen Gesteins gewonnen. Bildrechte: picture alliance / Hans Lucas | Henrique Campos

Welche Arten des Lithiumabbaus gibt es und wie unterscheiden sie sich?

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen dem Salar-Lithium, was in Südamerika aus Salzseen gewonnen wird, und dem bergbaulich gewonnenen Lithium, das aus dem Mineral Spodumen gewonnen wird, beispielsweise in Australien. Das sind völlig unterschiedliche Erztypen. Das eine ist ein Salz, also wasserlöslich, das andere ist ein wasserunlösliches Erzmineral, der Spodumen.

Spodumen muss zunächst auf über 1.000 °C erhitzt werden, sonst gibt er kein Lithium frei. Anschließend wird es mit Schwefelsäure herausgelöst. In Salzseen konzentriert man das verdünnte Lithiumsalz in Verdunstungsbecken: Wind trocknet, Sonne liefert Wärme. Bei beiden Verfahren fällt Lithiumcarbonat aus – ein wichtiger Rohstoff für die Batterieindustrie, gewonnen mit Soda, wie man es von Backpulver kennt.

Rechteckige Wasserbecken zur Lithiumgewinnung in einer Salzwüste.
Das Salar-Lithium wird in Südamerika aus Salzseen gewonnen. Bildrechte: conejota

In Argentinien gibt es Proteste gegen den Lithiumabbau, weil die lokale Bevölkerung im Norden des Landes befürchtet, dass ihr dadurch das Wasser abgegraben wird.

Hier sollte man bei der Bewertung vorsichtig sein. Wenn ins Grundwasser eingegriffen und Wasser verschwendet wird, dann ist ein Sinken des Grundwasserspiegels möglich. Und wenn dort Lithium aus Grundwasserreservoirs gewonnen werden soll und dadurch Chemikalien oder Schwermetalle eingetragen werden, sind wir uns bezüglich der negativen Bewertung dessen einig. Man sollte dabei aber unterscheiden: Die lithiumhaltigen Salzseen sind in Gebieten entstanden, in denen mehr Wasser verdunstet als durch Frischwasser nachfließt; Wasser ist dort ein sehr kostbares Gut. Es ist aber etwas anderes, einen Teil der Sole aus einem Salzsee abzupumpen, als in besiedelten Regionen ins Grundwassersystem einzugreifen.

Neben der Verdunstung gibt es das neue Verfahren der direkten Lithiumextraktion aus dem Boden. Die Flüssigkeit wird dabei nach der Lithiumgewinnung sofort zurück in den Boden gepumpt.

Ein Ansatz ist, mit einer Elektrode in die Lithiumsole hineinzugehen, die das Lithium bindet. Wenn man die Elektrode wieder herauszieht, kann man das Lithium elektrisch davon lösen. Somit hat man keinen weiteren Eingriff in das Wasser vorgenommen. Dabei darf aber rein gar nichts aus den Elektroden ins Grundwasser gelangen. Wenn das funktioniert, ist es einen Versuch wert. Aber sobald Chemie eingesetzt werden soll, sobald Stoffe ins Grundwasser gelangen, bin ich da sehr zurückhaltend. Ob das dort angewandte Verfahren die notwendige technische Reife besitzt, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist ohnehin fraglich, dass man in Argentinien unbedingt ins Grundwasser gehen muss. Dort gibt es eigene Salzseen.


Bahnt sich zugleich ein neuer Wettlauf um Phosphate an?

Die Frage ist vielmehr, ob wir nicht schon mittendrin sind. Lithium- und Natrium-Eisenphosphat-Batterien benötigen Phosphorsäure, womit Phosphat zur Schlüsselressource wird. Schon heute gehen 10 Prozent des globalen Phosphors in Batterien – in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung. Das ist das Pikante: China ist größter Importeur und Exporteur, die größten Lagerstätten liegen jedoch in Marokko. Auch Europa hat Vorkommen und Deutschland setzt seit 2017 aufs Phosphatrecycling – darin sind wir sogar weltweit führend. In Bottrop läuft die weltweit größte Anlage mit dem PARFORCE-Verfahren, ausschließlich auf Basis erneuerbarer Energien. Jetzt bedarf es einer konsequenten politischen Umsetzung und Förderung heimischer Technologien, damit sich die Versäumnisse bei Lithium, seltenen Erden oder Metallen wie Gallium, Germanium und Indium nicht wiederholen.


Es wird immer gesagt, wir seien beim Lithium von China abhängig. Stimmt das?

Wir sind nicht von China abhängig, wenn es um Lithium als Rohstoff geht, sondern wenn es um die Herstellung von Lithiumbatterien geht. Das ist ein hausgemachtes Problem: Wie viele Batteriefabriken stehen in Deutschland bzw. Europa? Wie viele Firmen haben wir in Deutschland, die Lithiumrohstoffe verarbeiten können? Es gibt seit September 2024 eine kleine Anlage in Bitterfeld, die Lithiumerz verarbeiten kann – im Pilotmaßstab.

Hand hält rohe Lithium-Spodumen-Steine, wichtig für die Batterieproduktion.
Das bergbaulich gewonnenen Lithium wird aus dem Mineral Spodumen gewonnen. Bildrechte: BJP7images

Am Rohstoff selbst würde es in Europa demnach nicht mangeln?

Nein. Wir haben zum Beispiel Vorkommen von Spodumen, das klassische Lithiumerz, in Portugal, Spanien, Finnland, Frankreich, Österreich und Tschechien. Wir haben Zinnwaldit in Deutschland und Tschechien. Der Spodumen, der bei uns in der EU vorhanden ist, reicht voll und ganz aus, um uns in Europa mit Lithium zu versorgen. Eigentlich haben wir einen Kontinent, der mit Lithium gesegnet ist.

Woran scheitert es zum Beispiel in Deutschland, den Rohstoffabbau voranzutreiben?

Wir haben die zentralen Schlüsselindustrien nicht bzw. nicht mehr, die wir brauchen, um auf diesem Weltmarkt zu bestehen. Wenn Metall aus dem Erz geholt werden soll, braucht es Chemiker, Metallurgen und Ingenieure, die dazu in der Lage sind, Stoffe zu wandeln. All diese Zukunftsindustrien, die wir für die Energiewende brauchen, haben wir jedoch erfolgreich außer Landes verlagert. Was haben wir noch? Die Kupferhütte Aurubis in Hamburg, die Nickelhütte Aue und die Zinkhütte Nordenham, Aluminium in Stade, das war es dann schon. Wer sollte Stoffwandlung betreiben, wenn nicht die Chemieindustrie? Mit der hierzulande noch vorhandenen Industrie sind wir nicht annähernd dazu in der Lage, unabhängig zu werden.

Wir subventionieren in Europa Projekte, um Lithium aus heimischen Rohstoffen zu gewinnen oder Lithium zu recyceln, aber wir haben zugleich keine Firmen, die das so gewonnene Lithium zu Lithiumbatterien verarbeiten könnten. Wir haben Ableger aus China. Und Porsche steigt gerade aus der Batteriefertigung aus.

“Es fehlt in Deutschland an allem. Außer an Bedenken und Bürokratie.”

Prof. Dr. Martin Bertau

Haben wir trotz eigener Vorkommen beim Lithium den Anschluss verloren?

Wir trauen uns kaum noch etwas zu. Von der Entscheidung bis zur Förderung vergehen zehn bis zwölf Jahre und selbst eine Aufsuchungsgenehmigung ist in Deutschland schwer zu bekommen. Gleichzeitig muss das umweltverträglich geschehen – und moderner Bergbau leistet das auch. Zudem müssten wir gar nicht alles Lithium oder alle seltenen Erden selbst fördern; schon ein Drittel Eigenproduktion würde reichen, um unabhängiger zu sein. Aber jetzt stehen wir praktisch bei null – sowohl beim Abbau selbst als auch bei der Gewinnung, Verarbeitung und Produktion von Batterien. Es fehlt an allem. Außer an Bedenken und Bürokratie.


Welche Chancen bietet es, dass Deutschland bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung zurückgefallen ist?

Mir gefällt die Sichtweise nicht. Wir könnten doch den Spieß umdrehen und sagen, jetzt sind wir die alten Technologien und Produktionsstätten endlich los und bauen Firmen in Europa auf, die genau das können, was wir brauchen – mit neuen, effizienteren Verfahren. Wir wären schneller beim Produzieren höherer Rohprodukteinheiten mit weniger Raffinationsaufwand und könnten den heimischen Markt zu ganz anderen Preisen versorgen. Wir müssen wieder Freude an der Zukunft finden!

Weißes Elektroauto fährt schnell durch die Stadt – Symbol für nachhaltige Mobilität mit Lithium-Batterien.
Bildrechte: piranka

Sie plädieren immer wieder für Technologieoffenheit: Für welche Technologien sollen wir offen sein?

Für alle. Wenn Sie ein Auto kaufen, tun Sie dies doch nicht, weil Sie eine bestimmte Antriebsart kaufen wollen. Sie wollen vielmehr mobil sein. Von A nach B kommen. Vielleicht sogar Spaß am Autofahren haben – was nicht verwerflich ist. Solange die Nachhaltigkeit einer Antriebstechnik nicht erreicht ist, haben wir gar keine andere Wahl, als in Alternativen zu denken. Menschen brauchen Mobilität, auch individuelle. Eine ganz andere Frage ist, ob Mobilität so ineffizient sein muss, wie sie es heute ist. Wenn wir ernsthaft etwas für das Klima tun wollen, brauchen wir ernsthafte Technologieoffenheit.

Welche Alternativen sehen Sie?

Verbrenner ließen sich zum Beispiel mit E-Fuels, d. h. CO₂-neutralen synthetischen Kraftstoffen, betreiben. Der Verbrauch insgesamt kann mit generatorelektrischen Antrieben reduziert werden, wie es sie bei Dieselloks gibt. Man nutzt diese Technik seit Jahrzehnten, warum nicht auch beim Auto? Beim klassischen Verbrenner müssen unterschiedliche Lastbereiche mit unterschiedlichen Drehzahlen abgedeckt werden. Darunter leidet die Effizienz. Das lässt sich mit heute verfügbarer Technik lösen. Bei einem generatorelektrischen Antrieb läuft ein Motor mit kleinem Hubraum im optimalen, emissionsarmen Bereich; mit einem kleinen Zylinder macht er Strom, füttert die Batterie, die Batterie füttert den Radnabenantrieb und los geht’s!


Zu E-Fuels heißt es, sie seien nicht in ausreichender Menge verfügbar.

E-Fuels sind in Deutschland ein ideologisch verbranntes Thema. Dabei könnte es so einfach sein: In den Müllverbrennungsanlagen haben wir ca. 65 Prozent Biomasse. Das CO₂ von dort ist zu zwei Dritteln grün, das andere Drittel dient dem Umweltschutz. Hätten wir 2004 mit der Einführung der verpflichtenden Müllverbrennung rechtzeitig in die Wasserstoffproduktion investiert, könnten wir aus dem CO₂ Methanol machen, aus dem Methanol E-Fuels – und fahren damit Auto. Damit ließen sich heute 90 Prozent des Kraftstoffbedarfs abdecken. Grün, wohlgemerkt!

“Gebt den Menschen die Autos mit den Lithiumbatterien – aber ohne ‘CO₂-Rucksack’ und ohne Umweltzerstörung in den Förderländern!”

Prof. Dr. Martin Bertau

Worin besteht die Perspektive für die reine E-Mobilität?

In Transparenz, d. h., indem man den Menschen die Wahrheit sagt. Denn die Bürger haben erkannt, dass auch sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Und sie wollen es auch. Wenn sie wissen, woran sie sind, wären sie auch bereit, ein teureres Auto zu kaufen. Aber dann muss die Politik auch die Rahmenbedingungen schaffen, damit E-Autos wirklich das Klima schützen. Gebt den Menschen die Autos mit den Lithiumbatterien – aber ohne „CO₂-Rucksack“ und ohne Umweltzerstörung in den Förderländern!

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