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Smartes Armaturenbrett in einem Auto

Software-Defined Vehicles

„Es gibt ein neues Update, Liebling, …

20.02.2025

… lass uns losfahren!“ Software Defined Vehicles (SDVs) sind im Grunde wie Smartphones auf Rädern. Und dann doch wieder nicht. Die Automobilwirtschaft macht sich schon mal fit für ein völlig neues Geschäftsmodell.

Lesedauer: 7 Minuten

Zylinder, Hubraum und cooles Design. So haben wir gerade noch über Autos gesprochen. Heute machen weniger die physischen Eigenschaften das Fahrzeug aus – es ist eher die Software. Wie das Smartphone entwickeln sich SDVs (Software Defined Vehicles) von Update zu Update weiter. Über Nacht modernisiert sich das Fahrzeug mittels OTA (Over the Air) selbst, wenn nicht schon heute, dann sicher morgen.

Die wesentlichen Funktionen und Eigenschaften eines SDV sind durch Softwaresteuerung definiert. Die Fahrzeuge basieren auf Algorithmen und IT-Plattformen. Die Software regelt das Fahrverhalten, die Sicherheitsfunktionen, das Infotainment-System, das auch Videokonferenzen und Youtube-Videos aufs Auto-Display bringt – und bestimmt künftig sogar das Erscheinungsbild des Fahrzeugs. Das Spektrum der Möglichkeiten bei der Karosserie reicht von der digital wechselbaren Farbe bis zu unterschiedlichen Scheinwerfer-Anpassungen. Wer auf dem Land oft auf dunklen Straßen fahren muss, kann per Download die Basisbeleuchtung aufrüsten. Auch für den Gebrauchtwagenmarkt eröffnet das neue Perspektiven, da der Käufer dabei nicht mehr durch die Auswahl des Vorbesitzers eingeschränkt ist.

Am nächsten an einem echten SDV sind heute die Modelle von Tesla, bei denen sich Assistenzsysteme wie der Autopilot per Software-Update freischalten. Mercedes-Benz, Porsche und Audi schalten einzelne Funktionen gegen Gebühr noch nach dem Fahrzeugkauf frei – von der Sitzheizung über das Matrixlicht, den schlüssellosen Zugang und die Ferndiagnose bis zur Batterie-Vorheizung. Eine Voraussetzung ist dabei jeweils, dass die nötige Hardware bereits ab Werk an Bord ist. Schon heute lässt sich die Hinterachslenkung bei Mercedes-Benz von vier auf zehn Grad Einschlag freischalten – vorausgesetzt, der Kunde bezahlt dafür, die Kurven noch geschmeidiger zu nehmen. Und schon 2024 waren weltweit 19,5 Prozent der verkauften Autos SDVs – das sind 12 Millionen! 

Grafik: Welche elektrisch-elektronischen Architekturen 2023 am häufigsten sein werden

Big Data beim Automobil

Die Branche verspricht sich vom SDV neue Erlösmodelle. Schätzungen wie viel mit der Monetarisierung von Features-on-Demand und Daten über den Lebenszyklus eines Autos verdient werden kann, sind so hoch, dass man von einem neuen Geschäftsmodell für Automobilhersteller sprechen kann. Erwartet wird eine deutlich erweiterte Wertschöpfungskette, die den Autoherstellern den Weg zu einem Geschäft mit Daten eröffnet, das jedem verkauften Wagen einen zusätzlichen Wert verleiht, der sich während des Betriebs realisiert.

Nach einer internationalen Führungskräfte-Umfrage der Unternehmensberater von Deloitte von 2024 wollen zwei Drittel der Unternehmen die generierten Daten nutzen, um ihren Kunden in Kooperation mit Drittanbietern personalisierte und verbesserte Services anzubieten – und über die Service-Monetarisierung im Durchschnitt einen jährlichen Umsatz von bis zu 720 Millionen US-Dollar schon innerhalb der nächsten fünf Jahre generieren. Dass es aber noch eine Zeit lang dauern kann, bis entsprechend viele Monetarisierungsmodelle samt Preisstrategien etabliert sind, räumen Studien ebenfalls ein. Gespart werden kann in Zukunft eventuell bei den Entwicklungskosten, wenn nur noch Basismodelle auf den Markt kommen, die je nach Fahrerwunsch individuell zu neuen Modellen werden – die irgendwann autonom fahren, was der vorläufige logische Endpunkt der Evolution wäre.

Zur Deloitte-Studie SDV

Die Verwandlung von Autos in SDVs

Grafik: Zentrale Strategienvon Fahrzeigeherstellern für den Übergang zum Softwaredefinierten Fahrzeug

Am Anfang stehen in jedem Fall Investitionen. Drei Milliarden Euro jährlich investieren die europäischen Hersteller zurzeit in die Einführung von SDVs, ergibt die Deloitte-Studie weiter, das ist ein Drittel der gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Das drückt wiederum auf Cashflow und Rentabilität und verstärkt vorerst den Druck in der Branche. Auf welchen Pfaden man sich der Herausforderung „Software Defined Vehicle“ stellt, ist in der Autoindustrie derzeit das meistdiskutierte Thema: Wie und in welcher Reihenfolge lässt sich am besten ein Ökosystem aus Geschäfts-, Finanz- und Betriebsmodell entwickeln? Unbestritten ist, dass die Branche ihre gesamte Software-Entwicklung transformieren muss. Wobei neue Hersteller wie Tesla oder Nio immer im Vorteil sind, weil sie auf der „grünen Wiese“ ohne Altlasten auf modernen Architekturen aufsatteln konnten.

Klassischen Herstellern dagegen fehlt gegenüber neuen EV-Anbietern wie Tesla oder Nischenanbietern wie Tencent in China die technologische Basis – was sie durch Kooperationen mit IT-Dienstleistern wie Microsoft, Nvidia oder Foxconn, Joint Ventures wie VW mit Rivian oder die Nutzung von Open-Source-Angeboten kompensieren können. Letztere erhöhen zumal die Chance, mit dem global extrem hohen Entwicklungstempo mitzuhalten und Standardisierungsgremien zu umgehen, die meist langsamer als die Entwicklungszyklen sind. Das derzeit erfolgreichste Beispiel für eine Open-Source-Lösung ist Android für Infotainment, dessen skalierende Plattform viele CEOs überzeugt hat.

Software muss einfacher werden

Grafik: Welche Rahmenprogramme und globalen Betriebssysteme sind die häufigsten?

Die bisherigen, wenig koordinierten Ansätze der Hersteller, um Software zu entwickeln und zu implementieren, haben dazu geführt, dass OEMs heute in einem Fahrzeug mit bis zu acht Betriebssystemen und bis zu 100 Steuergeräten gleichzeitig arbeiten. „Die Unternehmen verstricken sich hier in unnötige Komplexität und das treibt die Kosten nach oben“, sagt Dr. Elmar Pritsch, Partner Software Defined Vehicles bei Deloitte. „Wichtig wäre, die Zahl der Betriebssysteme deutlich zu reduzieren und Schnittstellen zu harmonisieren.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt eine Ausarbeitung der H&Z Group in München zu „Software Designed Vehicles + Cyber Security“ (2024), die eine deutliche Verringerung der Betriebssysteme – in Domainen und Zonen, etwa eine Antriebs- und eine Entertainment-Zone – als Voraussetzung ansieht, um eine effektive Cybersecurity nach klar definierten „Safety Zones“ zu etablieren. (Siehe dazu auch das Interview „Die E/E-Architektur muss neu gedacht werden“ mit Christian Koehler, Partner der H&Z Group.)

Der weltweite Markt für SDVs muss sich erst sortieren. Er wird sich eher nach unterschiedlichen Funktionen und Preisen strukturieren, da eine Lösung, die für ein Segment ideal ist, nicht unbedingt zu einem anderen passt. Es wird nicht wirtschaftlich sein, für jedes Segment und jede Marktregion separate Hard- und Software zu entwickeln. Und hinter alledem steckt die große industriepolitische Frage, wie man sich zum chinesischen Markt verhalten soll: Abkoppeln oder integrieren? Eine weitere Frage ist die folgende: Wie stark sollen sich Hard- und Software aufeinander beziehen?“ Ein Auto kann zehn oder 20 Jahre alt werden, ein „Smartphone auf Rädern“ eher nicht. Wird die Software so lange unterstützt? Wenn es Software-Updates geben wird, müssen auch Hardware-Updates geplant werden, durch austauschbare Module oder Cartridges.

An der Schnittstelle von Hard- und Software

Ein echtes Problem an der Schnittstelle zwischen Hard- und Software erfuhr der Hersteller Tesla: Im Juni 2024 rief er 1,85 Millionen Fahrzeuge in den Vereinigten Staaten zurück, weil die Software nicht dazu in der Lage war, eine nicht ordnungsgemäß geschlossene Motorhaube zu erkennen, was das Unfallrisiko erhöhte. Inzwischen wird so etwas – nicht nur bei Tesla – mit Over-The-Air-Updates (OTA-Updates) geregelt, die ein entscheidender Schritt in die Zukunft von Fahrzeugen sind, die sich über Nacht selbst updaten. Berechnungen zeigen, wie hoch die Ersparnis ist, wenn Autos nicht zurückgerufen werden müssen – und wie dann die Betriebssicherheit und Kundenzufriedenheit steigen.

Tesla selbst räumt in seiner Online-Service-Rubrik „Tesla Wissen“ ein, dass beim Model 3 in der Vergangenheit zwar schon Bremsleistung und Beschleunigung per Software-Update verbessert werden konnten, sich die weiteren per WLAN oder Mobilfunknetz übermittelten „neuen Funktionen“ allerdings auf nichts weiter als den „Waschanlagenmodus“ oder Netflix beziehen.

Michael Hopp

Text: Michael Hopp

Head of Content bei der Gateway-Redaktion und absoluter Pionier beim Erkennen von Automotive Trends

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