Die Europäische Kommission bereitet derzeit neue Zollmaßnahmen gegen chinesische Pkw-Reifen vor. Hintergrund sind Vorwürfe, dass chinesische Hersteller ihre Produkte zu Dumpingpreisen auf den europäischen Markt bringen und dadurch den Wettbewerb verzerren.
Der Marktwert der EU für den Pkw-Reifensektor belief sich 2024 auf über 18 Milliarden Euro, die Branche beschäftigt derzeit rund 75.000 Menschen in 14 EU-Ländern. Sollte die Untersuchung bestätigen, dass die Preisgestaltung unfair und schädlich für die Branche ist, könnte die Europäische Kommission mit Zollvorschriften eingreifen. Vorläufige Maßnahmen könnten bereits innerhalb von acht Monaten umgesetzt werden.
Unsere Auslandskorrespondentin für Nordeuropa, Valentina Ahlavuo, hat dazu mit verschiedenen finnischen Importeuren und Großhändlern gesprochen. Diese betonen, dass die Auswirkungen möglicher Zölle in Finnland erst mit einer gewissen Verzögerung spürbar sein werden. Viele Importeure und Händler, die stark von chinesischen Reifenlieferungen abhängen, erwarten deutliche Veränderungen. Es könnte etwa zu Engpässen und Preisanpassungen kommen. Sollte die EU tatsächlich Strafzölle verhängen, könnten sich Angebot und Verfügbarkeit von Reifen in den kommenden Wintermonaten spürbar verschieben.
Während einige Händler darin eine Chance für europäische Produzenten sehen, warnen andere vor steigenden Kosten für Endkunden. Die endgültige Entscheidung der EU-Kommission wird in den kommenden Monaten erwartet.
Stimmen aus der Branche
Die geplanten Zölle der Europäischen Kommission auf chinesische Pkw-Reifen sorgen in Nordeuropa für intensive Diskussionen. Zahlreiche Vertreter von Herstellern, Importeuren und Händlern haben sich zur möglichen Wirkung der Maßnahmen geäußert.
Auswirkungen auf Pirelli
Jyrki Aarnivaara, PIRELLI Nordic: „Pirelli betreibt zwei Werke in China, die hauptsächlich die Nachfrage in Asien bedienen. Bereits zuvor war geplant, Teile der Produktion nach Europa zu verlagern. Derzeit gibt es jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass die Sanktionen direkte Auswirkungen auf die operative Tätigkeit von Pirelli haben.“ Auch bei der Auslieferung gebe es keine Verzögerungen: „Winterprodukte sind wie geplant bereits auf dem Markt, und die Lieferungen verlaufen reibungslos.“
Zur Marktsituation erklärt Aarnivaara:
„Pirelli glaubt fest an freien Wettbewerb. In der Branche gibt es bereits Produkte in unterschiedlichen Preissegmenten – einige konzentrieren sich auf Budgetreifen, während Hersteller wie Pirelli auf hohe Qualität setzen. Wir sind überzeugt, dass europäische Produzenten ihre Positionen behaupten werden und die Nachfrage weiterhin mit einem vielfältigen Angebot gedeckt bleibt.“
Einschätzungen aus dem Handel
Mikko Hänninen, RENGASDUO:
„Die Entscheidung über Sanktionen wird zwangsläufig alle Reifenhändler in Finnland und Europa betreffen. Die Produktion chinesischer Reifenmarken ist ohnehin stark in China konzentriert, und Zollregularien sind im Markt bereits berücksichtigt. Jeder vierte Reifenhersteller verfügt ausschließlich über Werke in China – daher wird es spannend sein, die Folgen zu beobachten. In Zukunft werden die Auswirkungen von Zollentscheidungen in der europäischen Reifenindustrie definitiv sichtbar.“
Zur Frage nach Notwendigkeit und Folgen von Zöllen sagt er:
„Vor- und Nachteile zeigen sich mit Verzögerung, da sich der gesamte europäische Markt an die neuen Regeln anpassen muss. Die Weltwirtschaft basierte lange auf Kooperation, doch sich schnell verändernde Grenzen und Zollpraktiken stellen dieses System infrage. Die endgültigen Effekte werden sich erst mit der Zeit offenbaren.“
Versorgungssicherheit und Winterreifen
Juha Luume, NDI Finland:
„Die Handelssituation ist stabil, und die Lieferungen laufen reibungslos. Die Herausforderung besteht eher darin, die Produkte rechtzeitig zur Saison zu erhalten – diese Schwierigkeiten hängen jedoch nicht unbedingt mit Zöllen zusammen. Für den kommenden Winter erwarten wir genügend preisgünstige Winterreifen, sodass keine Engpässe zu befürchten sind.“
Zur Rolle politischer Entscheidungen sagt er:
„Wir wollen uns nicht von politischen Vorgaben treiben lassen, sondern auf die Flexibilität des Marktes setzen. Zwar dürften die Preise steigen, doch Verbraucher werden weiterhin ausreichend passende Reifen finden.“
Perspektive des Onlinehandels
Jukka Heiskanen, VANNETUKKU.FI:
„Im Einzelhandel hat derzeit niemand eine endgültige Antwort auf das Zollprojekt. Bei Lkw-Reifen gibt es Erfahrungen, dass die Produktion in andere Länder verlagert wurde – Ähnliches geschieht nun bei Pkw-Reifen. Unterschiedliche Werke verfügen über verschiedene Kapazitäten, um diese Umstellung zu bewältigen. Unsere Lieferanten sind gut vorbereitet, aber einige werden mehr Zeit benötigen.“
Langfristige Marktentwicklung
Rutger Veerman, Vimexa / Autotek Finland Oy:
„Die endgültigen Details der Gegenzölle werden noch geklärt. Die EU-Kommission hat dem Markt mit über sechs Monaten eine relativ lange Vorbereitungszeit eingeräumt, sodass Anpassungen möglich sind. Ab Januar 2026 werden zudem die Auswirkungen des EUDR-Systems auf den europäischen Reifenmarkt sichtbar. Bereits 2024 wurden rund 120 Millionen Reifen aus China nach Europa importiert – das waren 72 Prozent der Gesamteinfuhren. In den Jahren 2026 und 2027 werden wir daher mit einem deutlichen Mangel konfrontiert sein.“
Viele große Hersteller verlagerten ihre Produktion derzeit nach Vietnam, Thailand oder Kambodscha. Doch die Umleitung solch großer Volumina sei kurzfristig kaum möglich. „Wir sehen zudem den Trend, dass die größten asiatischen Werke innerhalb der nächsten fünf Jahre in Europa produzieren werden.“
„Bis 2030 dürften die führenden chinesischen Anbieter noch weiter entwickelt, intelligenter und in einer stärkeren Wettbewerbsposition sein.“
Goodyears Ausblick
Tamlin Human, GOODYEAR:
„Goodyear ist zuversichtlich, die Belieferung wie geplant in Finnland sicherzustellen. Der Absatzplan wurde in enger Abstimmung mit den Kunden entwickelt, um den Marktbedarf zu prognostizieren und Produkte rechtzeitig bereitzustellen. Unsere Winterreifen-Serien, darunter UltraGrip Ice 3 und UltraGrip Arctic 2, werden bereits in Europa gefertigt und sind so näher an den Kernmärkten. Zudem haben wir unser Winterportfolio um neue Modelle erweitert.“ Das Unternehmen betont, weiterhin stark in Winterreifen zu investieren und das Angebot für verschiedene Fahrzeugsegmente deutlich auszubauen.
Valentina Ahlavuo
Herausgeberin von RVK Uutiset, EV FINLAND, und automediat.com
Berichtet für Gateway über Nachrichten und Veranstaltungen in Nordeuropa, mit Schwerpunkt auf dem unabhängigen Ersatzteilmarkt, Elektrofahrzeugen, Werkstätten und dem Reifenhandel in Skandinavien. Gut vernetzt in der nordischen Automobilszene und begeisterte Networkerin.