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In vielen freien Werkstätten herrscht weiterhin Zurückhaltung gegenüber der Elektromobilität. Die verbreitete Sorge: Mit dem Wegfall klassischer Wartungsarbeiten könnten Reparaturumsätze drastisch sinken. Moderne Elektroautos benötigen schließlich weder Ölwechsel noch Zündkerzen – also warum sich mit neuem Know-how, Schulungen und Technik belasten?
Doch ein genauer Blick zeigt: Diese Annahme greift zu kurz. Im Rahmen des Projekts Gateway to Automotive wurde die Frage gestellt, ob freie Werkstätten die Elektromobilität wirklich fürchten müssen. Das Ergebnis: Wer sich auf die neuen Antriebstechnologien einlässt, hat nicht weniger zu tun – sondern erschließt sich im Gegenteil neue, zukunftsfähige Geschäftsfelder.
Ein Beispiel dafür ist Michael Dittmar aus Bochum. Seit vier Jahrzehnten im Kfz-Gewerbe aktiv, hat er bereits 2010 mit ersten Hochvoltschulungen begonnen. Als die ersten StreetScooter der Deutschen Post in seine Werkstatt kamen, gab es kaum Reparaturleitfäden oder Standards. Vieles musste selbst herausgefunden werden – ein Pionierweg, der sich ausgezahlt hat. Heute ist sein Team für Arbeiten an Hochvoltfahrzeugen qualifiziert. Drei bis vier Mitarbeitende verfügen über die sogenannte 3S-Schulung – eine Voraussetzung, um auch unter Spannung an Fahrzeugen oder Batteriemodulen arbeiten zu dürfen.
Dabei geht es längst nicht nur um technisches Know-how, sondern auch um Arbeitssicherheit. Spannungen von bis zu 800 Volt machen präzises Arbeiten und die lückenlose Dokumentation sämtlicher Schritte zwingend notwendig. Wer denkt, das sei mit hohen Hürden verbunden, liegt allerdings falsch. Der Schulungsaufwand bleibt überschaubar – zwei bis drei Tage reichen aus, um eine fundierte Qualifikation zu erlangen. Viel entscheidender: die Motivation der Mitarbeitenden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Die Technik selbst ist in vielen Fällen sogar einfacher als bei einem Verbrenner. Elektroautos bestehen im Wesentlichen aus Motor, Getriebe, Batterie und Kühlsystem – letztere sind besonders kritisch, da sie die thermische Stabilität der Batterie gewährleisten. Genau hier sieht Dittmar auch enormes Potenzial für Werkstätten, die sich fachlich gut aufstellen: „Wenn das Kühlsystem nicht läuft, kommt die ganze Batterie ins Schwitzen.“
Auch Rui Costa, Werkstattleiter bei Schmauder & Rau in Kirchheim, sieht die Elektromobilität nicht als Bedrohung, sondern als Weiterentwicklung des bestehenden Handwerks. Als zertifizierte Hochvolt-Fachkraft arbeitet er seit Jahren mit E-Autos. Für ihn ist klar: Respekt ja – aber keine Angst. Wichtig sei es, die Prozesse zu verstehen und sauber umzusetzen.
Die Ausstattung einer Werkstatt muss dafür nicht komplett umgekrempelt werden. Ein abgesicherter Arbeitsplatz, ein Elektrikerkoffer mit isoliertem Werkzeug und ein Multimeter bilden oft schon die Grundlage. Zusätzliche Maßnahmen wie Warnbeschilderungen oder der getrennte Bereich für Batteriemodule lassen sich in vielen Betrieben unkompliziert umsetzen. Auch Reparaturanleitungen stehen heute dank regulatorischer Vorgaben digital zur Verfügung – zu fairen Konditionen und für alle Hersteller.
Aus wirtschaftlicher Sicht zeigt sich ebenfalls ein differenziertes Bild. Zwar entfallen Arbeiten wie Ölwechsel, doch andere nehmen zu. Bremsen, Achsaufhängung oder Fahrwerksteile sind durch das hohe Gewicht vieler E-Autos stärker beansprucht. Dazu kommen neue Herausforderungen wie der Austausch von Wärmepumpen oder die Diagnose komplexer Softwareprobleme. Auch Ersatzteile sind in vielen Fällen teurer. Werkstattketten wie Meko aus Skandinavien – dort, wo der E-Auto-Anteil längst überwiegt – berichten von stabilen oder gar steigenden Umsätzen.
Ein besonders spannendes Feld: die Reparatur von Batterien. Zwar sind viele Akkus durch Herstellergarantien noch abgesichert, doch mit zunehmendem Alter der Fahrzeuge wächst der Bedarf an Instandsetzung. Während manche Hersteller auf versiegelte, nicht reparierbare Batterien setzen, entwickeln freie Werkstätten bereits nachhaltige Alternativen. Dittmar etwa tauscht einzelne Zellgruppen oder Module aus – auch wenn es mitunter an Ersatzteilen oder Informationen fehlt. Doch der Weg ist klar: Reparatur statt Komplettaustausch muss langfristig Standard werden – ökologisch wie ökonomisch.
Die Elektromobilität wird kommen – die Frage ist nicht, ob, sondern wie schnell. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig vorzubereiten. „Drei Viertel eines Elektroautos sind wie bei einem Verbrenner“, sagt Dittmar. „Der Unterschied liegt im Antrieb – aber nicht in der Werkstattlogik.“
Statt sich vorschnell zu spezialisieren, empfiehlt er freien Werkstätten, zunächst alle Autos anzunehmen. Und bei Bedarf Hilfe zu suchen – über Netzwerke, Hotlines oder Austausch mit Kolleg:innen. Genau so funktioniere Handwerk seit jeher.
Elektromobilität ist keine Nische mehr – sondern wird Alltag. Wer heute einsteigt, sichert sich nicht nur Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch neue Chancen. Denn am Ende gilt: Ein Auto ist ein Auto. Und wenn es kaputt ist, muss es repariert werden – ganz gleich, womit es fährt.